Gotti (Gast) - 18. Apr, 09:18

Nicht überzeugt...

Hallo,

dass viele Anträge unnötig kompliziert sind und oft überflüssige Formalitäten gepflegt werden ist auch mein Eindruck.
Die These aber, dass ein Mensch, der nicht Willens ist, auch nur die kleinste Unannehmlichkeit auf sich zu nehmen, solange kein extremer Druck herrscht, quasi als behindert anzusehen ist, kann ich absolut nicht nachvollziehen.
Motivation speist sich aus Erfolg. Erfolg kann es jedoch nur dann geben, wenn ein Ziel erreicht werden soll. Auch der (nach BBirke) "motivationsbehinderte" Mensch hat Wünsche, für deren Verwirklichung er sich voll ins Zeug legt. Sei es das finden eines Partners, besorgen des bevorzugten Hundefutters o. ä.
Ich kenne keinen "faulen" Menschen, der nicht auch einige Bereiche hat, in denen er förmlich aufblüht, wenn es um das Erreichen bestimmter Ziele geht.
Der Mechanismus ist in jedem Menschen vorhanden und kann aktiviert werden. Dazu muss der Mensch jedoch auch die Chance auf Erfolg erhalten! Der Ansatz kann also nicht sein, alles Unangenehme als "Schikane" zu brandmarken und dem motivationsgehemmten Individuum so weit als möglich entgegenzukommen. Statt dessen sollte einfach eine Belohnung für das überwinden des Hindernisses erfolgen. So könnte, nur mal als Beispiel, frühes Erscheinen in der ArGe durch besonders schnelle Bedienung, Hilfe beim Befüllen eines Antrages oder ähnliches belohnt werden. Vielleicht hilft an der Stelle auch ein Lob oder ähnliches, hier müssten Psychologen oder andere Experten eingeschaltet werden.
Auf jeden Fall ist das Postulat einer "Behinderung" in Fällen besonderer Willensschwäche kontraproduktiv, weil es den Betroffenen einerseits eine Rechtfertigung für Ihr Verhalten liefert ("ich bin nicht faul, ich bin krank!") und andererseits jeden Anreiz eliminiert, doch einmal für irgendetwas selbst aktiv zu werden (mit evtl. folgendem Erfolgserlebnis).

MfG Gotti

bbirke - 18. Apr, 21:50

Hallo auch,


ich denke, Erfolg kann sicher zu Motivation beitragen, wenn er denn da ist. Aber es gibt dann eben auch gewisse Durststrecken, die unter Umständen zu lang sind (gut, nicht beim Kauf von Hundefutter...). Aber ob jemand, der dabei Probleme hat, es schafft, um eines bestimmten Erfolgs willen regelmäßig früh aufzustehen oder lästige Formalitäten zu erledigen, wenn der Erfolg noch in weiter Ferne ist, will ich doch bezweifeln. Und mit Eintreten des Erfolgs lässt dann die Energie sowieso nach. Wie ich geschrieben habe, kann auch bei einem hohen Ertrag/Erfolg einer unangenehmen Handlung die benötigte Aktivierungsenergie dafür zu hoch sein.

Außerdem kann man in der Regel eine unangenehme Pflicht nie wirklich wollen. Man will nur den Erfolg und nicht die Pflicht und kämpft daher mit sich selbst, genauso, wie wenn man von außen mit Drohungen zu einer unangenehmen Arbeit genötigt wird. Der Begriff "Wille" oder "Willensschwäche" ist zwiespältig, denn man "will" die unangenehme Pflicht nicht wirklich, sondern beugt sich nur dem äußeren Zwang oder verbiegt sich, um einen Vorteil zu erlangen (letzteres ist bei wirklich disziplingestörten Menschen kaum möglich).

Und der kritische Punkt bei den Langzeitarbeitslosen ist, dass es da ja gar keinen Erfolg gibt, sondern dass die Pflichten für Selbstverständlichkeiten (Nahrung, Kleidung, Unterkunft) gefordert werden oder wirklich Schikane sind, also gar keinem anderen Zweck dienen, als den Betroffenen das Leben zu versauern. Was bitte macht es für einen Sinn, Leute bei einer Arge nach 10 Uhr vor verschlossenen Türen stehen zu lassen? Was hat ein Arbeitsloser davon, dass er, statt erst um Mittag, schon morgens um 8 Uhr herum sitzt? Noch nicht einmal die Argen oder der Staat haben was davon. Es geht nur darum, Arbeitslosen das lange Schlafen zu missgönnen und sie zum Simulieren eines bürgerlich-"fleißigen" Lebensstils zu zwingen. Und dies ist eine eher kleine Schikane, verglichen mit willkürlicher und erniedrigender Behandlung, völlig überzogenen Bürokratie-Forderungen oder "Workfare"-Zwangsarbeit. Und "Tagesstruktur" wird damit auch nicht über die betreffenden Stunden hinaus geschaffen - abgesehen davon, dass ein Arbeitsloser sie nicht wirklich braucht. Ich denke mal, so kleine Belohnungen wie die genannten werden jemanden, dem das Frühaufstehen wirklich schwer fällt, auch nicht dazu bewegen.

Der letzte Abschnitt deutet die zentrale Problematik an: man WILL disziplinunbegabten, "faulen" Menschen eine Schuld für ihr Verhalten geben, ihnen unterstellen, dass sie anders könnten, gegebenenfalls auch wider besseres Wissen. Dabei empfinden viele dieser Menschen ihr Verhaltenshandicap durchaus als Belastung, man lese mal Foren zu Prokrastination, Messietum, ADHS und dergleichen (alles Formen von Disziplinstörungen)! Es gibt in der Tat an dem Verhalten nichts zu rechtfertigen, weil es determiniert, durch nicht willentlich beeinflussbare Persönlichkeitseigenschaften und Strukturen fest gelegt ist (ja, sie sind krank, nicht aus freiem Willen "faul"!). Es würde allerdings den Betroffenen den ständigen Druck, Anschuldigungen, gesellschaftliche Ächtung und mitunter existenzielle Bedrohung nehmen. Echte Anreize für Fleiß (nicht Druck oder existenzielle Bedrohungen, wie ALG-Streichung) sind ohnehin eher selten, und selbst, wenn es mehr gäbe, würden sie kaum reichen, Disziplinstörungen wenigstens gelegentlich zu überwinden.

Erst, wenn Menschen sich nur mit einem kleinen Ruck oder einer positiven Selbstmotivation zu unangenehmen Pflichten bringen können und sich nicht quälen müssen, kann man von einem halbwegs freien Willen in dieser Sache sprechen. Eine solche Umprogrammierung ist aber bislang kaum möglich, auch, wenn manchmal Medikamente wie z.B. Methylphenidat ("Ritalin" u.a.) helfen können. Letzteres darf natürlich kein Vorwand für eine Zwangstherapie oder -medikation sein!
Gotti (Gast) - 20. Apr, 09:02

In Ordnung, da ich bei dem Thema nur auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen argumentieren kann, akzeptiere ich die Möglichkeit einer Disziplinstörung einfach mal. Dennoch kann ich mir so etwas nur für für kleine Teile der Betroffenen vorstellen (also eine klinische Disziplinstörung).

Denn es gilt immer:
Wenn ich einen Vorteil (großen oder kleinen ist egal, Hauptsache er ist gewünscht) anstrebe und zu diesem Zweck eine unangenehme Pflicht erledigen muss, so korreliert doch das Erfolgsgefühl direkt mit der Schwierigkeit/Unannehmlichkeit der Aufgabe/Pflicht, die ich zu erledigen hatte!

Bei Menschen, die sich nie im Überwinden von Hindernissen üben konnten (oder mussten), besteht hier natürlich Lernbedarf (d.h. die Aufgaben müssen am Anfang sehr überschaubar, der Erfolg sichtbar und die Belohnung fühlbar sein).
Ich bin (allerdings nur aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen) überzeugt, dass die meisten Menschen "lernen" können, Hindernisse ganz normal zu überwinden.

Genau wie sie auch lernen können, dass nichts tun nichts macht! Ich kenne einige Leute, die in der Arbeitslosigkeit "versackt" sind. Die einfach festgestellt haben (und das im Gespräch auch ganz klar so benennen), dass ihnen das Leben im ALG II Bezug mehr zusagt, als das Erwerbsleben! Denn, wie Sie schon ganz richtig festgestellt haben, welcher Mensch erledigt schon gerne unangenehme Pflichten? Keiner! Auch für den "Normalbürger" muss ein gewisser Vorteil herausspringen, damit er aktiv wird.
Wenn mir jedoch ein niedriger Standard im Leben genügt (eigene Wohnung mit TV und Internet, genug zu essen, Heizung, ein Fahrrad und Aktivitäten mit den Freunden im Kiez) ist Harz IV die beste Möglichkeit dazu! Ich kann mir den Tag frei einteilen, zumindestens in Großstädten gibt es viele Möglichkeiten was zu unternehmen (soziale Angebote von Kirchen oder Vereinen) und die einzigen Verpflichtungen die bleiben sind die "Schikanen" vom Amt. Die stellen auch zusammen mit der gesellschaftlichen Ächtung die einzigen fühlbaren Nachteile dieses Lebensstils dar.
Schafft man also die "Schikanen"* ab (weil die ja sowieso keinen Sinn machen) und sorgt für gesellschaftliche Anerkennung ("der ist krank, der muss so leben"), dann schafft man ein Lebensmodell, das noch viel attraktiver ist, als das heutige und wird noch größere Teile der Bevölkerung damit "beglücken"!

Ich bin nämlich nach wie vor der Meinung, dass erst ein solches Leben in die ("erlernte") Disziplinstörung führt (für die Mehrheit). Und dann überlege sich der geneigte Mensch bitte einmal, was passieren würde, wenn die BRD durch irgendwelche Einflüsse auf einmal nicht mehr reich wäre! Wenn eine Alimentierung nicht mehr möglich ist. Was ist dann? Werden die Leute alle zu Grunde gehen? Ich glaube nicht! Ich glaube der Großteil wird *plötzlich* aktiv werden! Spontane Heilung gewissermaßen...
Ich meine man muss sich ja auch mal überlegen, wie die Leute sich verhalten, die eben gerade nicht in Überflussgesellschaften leben. Dort gibt es sicher auch Menschen, die nicht in der Lage sind, sich zu diziplinieren. Aber die werden bei weitem nicht den Anteil stellen, den wir hier haben, einfach weil die Folgen solchen Verhaltens dort gravierend wären!

MfG Gotti

*Und das man die Menschen "zwingt" zu ungewohnten Zeiten und festen Terminen auf dem Amt zu erscheinen halte ich nicht für Schikane. Schließlich ist es ja offiziell Ziel, die Menschen in ein sozialversichungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu überführen. Und in der Welt der Mehrheit ist es Usus, dass man zu Terminen erscheint, die man nicht immer selbst festlegen kann, dass man pünktlich ist usw. Da kann das Amt meiner Meinung nach gar nicht anders (alles andere hieße ja, zuzugeben, dass man diese Leute nie in Arbeit bringen wird und sie eigentlich nur noch verwaltet)!

Was ist eigentlich, wenn solche Menschen Kinder haben? Die müssen morgens geweckt, versorgt, zur Schule geschickt oder gebracht werden!

Name

Url

Meine Eingaben merken?

Titel:

Text:


JCaptcha - du musst dieses Bild lesen können, um das Formular abschicken zu können
Neues Bild

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Sehr wahre Worte...und...
Respekt zu diesem mutigen Posting. Leider wird die...
Gil S. (Gast) - 23. Aug, 10:09
Der Apple-Samsung-Prozess,...
Nun ist das Urteil da: Samsung muss an Apple einen...
bbirke - 27. Aug, 00:57
Warum wundert man sich,...
Gestern ging die Meldung durch die Presse (Link auf...
bbirke - 24. Nov, 09:07
Dass das Protestpotential...
Dass das Protestpotential gegen schwarz-gelb-rot-rot-grün. ..
Tim (Gast) - 19. Sep, 18:37
Freibeuter statt Ausbeuter...
Nun haben sie also reichlich Beute gemacht: mit einem...
bbirke - 19. Sep, 00:37

Suche

 

Status

Online seit 4874 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Editorial
Gutes Leben statt Arbeits- und Pflichtenzwang
Medienfreiheit-Videospiele&Co
NERV!!!
Tests, Bewertungen, Rezensionen
Über dieses Blog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren