Gutes Leben statt Arbeits- und Pflichtenzwang

Mittwoch, 20. April 2011

Warum der Innere Schweinehund nicht bezwungen werden kann. Die Psychologie des inneren Widerstandes.

Er ist ein lästiger Geselle, der Innere Schweinehund: Er lässt uns nicht tun, was wir tun müssen, lässt uns unangenehme Arbeiten bis zum letzten Drücker aufschieben, schlampig oder gar nicht erledigen. Und es mangelt nicht an Forderungen und Tipps: Genug Willen haben, sich überwinden, sich alles in kleine Schritte aufteilen, sich nach Erfolgen belohnen usw. usw. Doch was Internet, Ratgeberliteratur und Kurse anraten, ist für Betroffene kaum umsetzbar.

Andererseits haben manche Menschen fast gar keinen inneren Schweinehund, sondern können ohne große Mühe alle Aufgaben erfüllen und im Leben Ziele erreichen, die anderen verwehrt bleiben. Es deutet also einiges darauf hin, dass es zwecklos ist, die inneren Widerstände durch immer härtere innere Gewalt gegen sich selbst überwinden zu wollen.

Während heute kein vernünftiger Mensch mehr einem Legastheniker unterstellt, dass er lesen und schreiben "nur wirklich wollen" müsse oder von einem Drogensüchtigen behauptet, er müsse "sich nur zusammen nehmen", um von seinem Laster los zu kommen, ist Vergleichbares in Sachen Selbstdisziplin die Regel. Es herrschen archaische Vorstellungen vom "freien Willen" vor, die anderswo längst als widerlegt und überwunden gelten. Für Betroffene mangelnder Disziplinbegabung führt das zu massiven Anfeindungen und böswillig auferlegten Nachteilen, die zu den ohnehin schon vorhandenen kommen.


Ich habe deshalb in einigen psychologischen Theorien recherchiert, was der "innere Schweinehund" wirklich ist. Besonders passend erschien mir die PSI-Theorie des Osnabrücker Professors Julius Kuhl, weil sie schlüssig die Konkurrenz und Opposition verschiedener Teile des menschlichen Denkens gegeneinander beschreibt. Denn genau die Diskrepanz zwischen rationalem Wollen und emotionaler Ablehnung, nicht selten dem Auswachsen unangenehmer Pflichten zum absoluten Horror, ist ja zentrales Merkmal einer defekten Selbststeuerung.

Kuhl unterteilt dabei das menschliche Denken in vier Grundsysteme, die er auch physisch im Gehirn lokalisiert. Die für das Handeln wichtigsten sind dabei das Intentionsgedächtnis, das er in der linken, vorderen Hirnhälfte verortet und das für das bewusste, klare und rationale Denken steht, sowie die intuitive Verhaltenssteuerung, ein eher primitives System, das er im hinteren, rechten Hirn verortet und das für das unbewusste, intuitive, "automatische" Handeln im Alltag steht. Daneben gibt es noch das so genannte Extensionsgedächtnis, ein in der rechten, vorderen Hirnhälfte verortetes, umfangreiches, aber eher "gefühlsmäßiges" Denksystem, sowie die so genannte Objekterkennung, ein bewusstes, primitives System in der hinteren, linken Hirnhälfte. Für die Handlungssteuerung und Defekte ebendieser stehen aber demnach vor allem die beiden Denkapparate Intentionsgedächtnis (komplex, im Gehirn vorne links) und intuitive Verhaltenssteuerung (primitiv, im Gehirn hinten rechts) im Vordergrund.

Nun ist es nach Kuhl so, dass die verschiedenen Denksysteme nicht etwa harmonisch zusammen arbeiten, sondern in Konkurrenz zueinander stehen und sich im ungünstigen Fall gegenseitig blockieren können. Sie sind überdies von den jeweiligen Emotionen abhängig: Positive Emotionen, wie Freude und Glück, aktivieren vorwiegend die rechte Hirnhälfte mit der intuitiven Verhaltenssteuerung, fördern also gewisser Maßen die Bereitschaft zum Handeln. Negative Emotionen, oder auch nur eine nüchtern-rationale Stimmung, fördern dagegen die Systeme der linken Hirnhälfte, darunter das Intentionsgedächtnis, dessen Aktivität dafür verantwortlich ist, dass man sich etwas vornimmt zu tun, weil es rational sinnvoll und geboten erscheint. Dazu kommt, dass entsprechende Denkaktivitäten in Gegenrichtung auch die Emotionen beeinflussen, dass also beispielsweise scharfes Nachdenken zu einer gedämpft positiven oder gar negativen Stimmung führt.

Es ist also so, dass gerade das scharfe Nachdenken über eine Aufgabe und das feste "sich Vornehmen" der Erledigung die primitive, aber für die Handlungsausführung nötige Intuitive Verhaltenssteuerung blockieren. Je fester man sich eine unattraktive Arbeit vornimmt, umso weniger kann man sie tatsächlich machen. Die unangenehme Aufgabe lässt sich also nicht, wie häufig falsch unterstellt, durch einen festen Willen dazu erledigen, sondern der feste rationale Wille sorgt für eine noch stärkere Blockade, weil dadurch die Intuitive Verhaltenssteuerung zum "Inneren Schweinehund" mutiert. Dies ist laut Kuhl ein grundsätzlicher Prozess, der bei allen Menschen so abläuft, der aber bei vielen ausgetrickst werden kann.

Als häufiges Beispiel für eine Krise der Selbststeuerung sei hier die so genannte Prokrastination genannt, das Aufschieben unattraktiver Aufgaben auf den letzten Drücker, bei der gleichzeitig ein extremer Druck und auch rationaler Wille des Betroffenen vorliegt, die Aufgabe gut zu erledigen. Betroffene setzen sich extrem unter Druck, eine unangenehme Arbeit, etwa das Lernen für eine Klausur oder die Steuererklärung, zu erledigen. Genau dadurch wird aber die Handlung unmöglich gemacht; man sucht sich jede erdenkliche Ausrede ("sind ja noch vier Wochen Zeit..."), um die Arbeit hinaus zu zögern. Am Ende wird dann die Aufgabe mäßig gut bis schlampig in einem harten Endspurt, häufig in einer Nachtschicht vor dem Termin, erledigt, unter Umständen auch gar nicht. Die meisten Betroffenen versuchen, diese Handlungsblockade zu überwinden, indem sie sich noch mehr unter Druck setzen, sich härter zwingen, sich noch mehr Drohungen und Horrorszenarien für den Fall der Nichterfüllung der Aufgabe ausmalen. Doch genau dieser Zwang und negative Affekt blockiert das intuitive Handeln, das nötig ist, um mit der Arbeit zu beginnen und dran zu bleiben. Die Folge: So sehr sich der Betroffene auch unter Druck setzt, er kann es nicht schaffen, frühzeitig mit der Aufgabe zu beginnen und so die Zeit für ein gutes Ergebnis zu nutzen. Der Gegensatz, einerseits sich zu einer Aufgabe zwingen zu wollen, andererseits diese beim besten Willen nicht umsetzen zu können, sorgt für eine extreme Belastung und faktisch die weitgehende Zerstörung der Lebensqualität der Betroffenen.

Im ungünstigsten Fall kann dies zu einem Teufelskreis führen: schlechte von außen geforderte Leistung, daraus resultierender Misserfolg, Verachtung und Anfeindungen der Umwelt, auf die man dann mit nochmals verschärftem Zwang und noch härteren Drohszenarien gegen sich selbst reagiert. Damit blockiert man seine Handlungsausführung noch mehr, und die Arbeitsergebnisse bleiben mäßig bis schlecht oder kommen gar nicht mehr.

Und was für größere Aufgaben, wie Klausuren, Arbeitsprojekte oder Steuererklärung gilt, gilt letztlich auch für die vielen kleineren Aufgaben des Alltags: Putzen, Aufräumen, Kinder versorgen, Amtsformalitäten, den beruflichen Alltag. Auch hier droht der Teufelskreis von Zwang und Drohungen, Handlungsblockade, Schlecht- oder Nichterfüllung und letztlich Misserfolg, auf den man mit noch mehr Hass und Zwang gegen sich selbst reagiert - der aber gar nicht in besseres Arbeitsverhalten münden KANN. Messies sind nicht deswegen wie sie sind, weil sie Dreck und Chaos in ihrer Wohnung lieben, sondern in der Regel, weil das Aufräumen so ein ausgewachsener Horror ist, dass es mit allen Mitteln vermieden wird und Dreck und Chaos letztlich das kleinere Übel sind (andere Ursachen, wie die Unfähigkeit zur permanenten Handlungsüberwachung, um etwa gebrauchte Gegenstände gleich an Ort und Stelle weg zu legen, oder Sammeltrieb mögen noch dazu kommen).


Die (begrenzten) Lösungen des Problems, und warum sie nicht für alle funktionieren:

Nun haben nicht alle Menschen Probleme, unangenehme Aufgaben zu erledigen. Dabei ist es durchweg so, dass diese Menschen sich für diese Aufgaben viel weniger mit Gewalt zwingen und quälen müssen als Menschen, denen sie große Schwierigkeiten machen. Im wesentlichen gibt es zwei Methoden, mit denen fleißige und disziplinierte Menschen ihre Dinge erledigen:
  1. sie schalten alle Emotionen ab und konzentrieren sich auf die zu erledigende Sache. Diesen "Robotermodus" bezeichnet Kuhl als handlungsorientiert, im Gegensatz zum lageorientierten Modus, bei der Betroffene in negativen Gefühlen und Grübeleien stecken bleiben. Einem Lageorientierten wird es bei einer unangenehmen Anforderung also stets dreckig gehen und er kann nichts dagegen tun, während der Handlungsorientierte seine Gefühle einfach aussperren kann. Dies ist, wie auch der reine Zwang, eine Methode der von Kuhl so genannten, autoritären Selbstkontrolle, bei der das Handeln nicht im Einklang mit den Emotionen steht.
  2. durch positive Motivation, also durch spätere Belohnungen, Konzentration auf abstrakte, positive Aspekte der Aufgabe, oder auch gesellschaftliche oder religiöse Wertvorstellungen von Fleiß und Disziplin. Damit das funktioniert, müssen die Betreffenden aber tricksen. Denn auch die positive Motivation kann die Handlungshemmung im Intuitionsgedächtnis nicht vollends aufheben, die immer entsteht, wenn man sich eine Sache rational vornimmt, d.h. im Intentionsgedächtnis festhält. Um aus dem rationalen auch einen emotionalen Willen zu machen, der letztlich die Handlung ermöglicht, muss der negative Affekt überwunden werden. Dies geschieht laut Kuhl durch eine Art "Trostimpuls", der den negativen Affekt schon beim Entstehen gleich wieder abreguliert und so der unangenehmen Aufgabe ihren Schrecken nimmt. Kuhl nennt diese Variante Selbstregulation, weil dabei die Emotionen nicht niedergezungen oder überwunden, sondern gewissermaßen der äußeren Anforderung entsprechend angepasst werden.
Das Problem bei beiden Varianten, bzw. der Grund, warum viele keine der beiden anwenden können, ist, dass man dafür Emotionen regulieren können muss. Sie also entweder abschalten und in den handlungsorientierten Modus zu wechseln ("Roboter"), oder sie in positive Richtung zu ändern (positive Motivation für unangenehme Aufgabe).

Die Norm ist dagegen:
  • unattraktive Pflichten lehnt man immer emotional ab; sie können nur mit Zwang gegen sich selbst erledigt werden.
  • Die Aversion und Handlungshemmung gegen unangenehme Aufgaben kann auch nicht durch deren Verknüpfung mit positiven Zielen oder Wertvorstellungen nennenswert gemindert werden.
  • Aufgaben, wie Haushaltsarbeiten oder Lernen, werden in der Kindheit mit Drohungen, Anschreien oder auch körperlichen Züchtigungen durchgesetzt, oder sind an sich Strafen ("...weil du Mist gebaut hast, wirst du das ganze Wochenende nur lernen und Zimmer aufräumen!").
  • Emotionen sind nicht steuerbar: Schlechte Stimmung ist wie schlechtes Wetter, man kann nichts dagegen tun, man muss warten, bis es vorbei ist.
Um vor allem vom letzten Punkt abzuweichen und die außergewöhnliche Fähigkeit zu entwickeln, Emotionen zu regulieren, ist laut Kuhl insbesondere ein Aspekt mütterlicher Fürsorge in der frühen Kindheit entscheidend, sowie ein positives Selbstbild des betreffenden Menschen. Die Mutter sollte auf negative Äußerungen des Säuglings angemessen reagieren, u.a. mit Trost, so dass das Baby nach einiger Zeit einen eigenen, automatischen Trostimpuls als Reaktion auf negative Affekte entwickelt. Dieser automatische Trostimpuls behält sich dann im günstigsten Fall lebenslang bei und ermöglicht es diesen Menschen, sich gegen den Horror einer unangenehmen Arbeit zu "trösten" und so die Handlungshemmung entscheidend zu mindern.

Die defekte Selbststeuerung

Das Fehlen eines solchen Trostimpulses, bzw. der daraus erwachsenden Möglichkeit, sich in einer Problemsituation selbst zu trösten, ist laut Kuhl eine entscheidende Ursache unter anderem dafür, dass Menschen sich Dinge zwar vornehmen, aber daran scheitern, weil sie die Aversion nicht überwinden können. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist für ihn ein im allgemeinen positives Selbstbild, das es ermöglicht, unangenehme Dinge zu verkraften.

Wer im Leben erfolgreich sein oder auch nur minimal klar kommen will, in dem Sinne, dass er auch unangenehme Dinge geschafft kriegt und äußeren Anforderungen genügen kann, braucht demnach solche Techniken, die er mit zunehmender Reife vor allem unbewusst einsetzt. Wer dagegen immer mit Drohungen oder Gewalt zu Dingen gezwungen wird, sich vielleicht im Laufe des Lebens zu seinem eigenen Sklaventreiber entwickelt, der Putzen, Aufräumen, Steuererklärung und Arbeit durch Aufbau von Drohszenarien und Horrorvorstellungen für den Fall der Nichterfüllung erledigt, kann immer weniger Emotionsregulation betreiben, um sich zu solchen Dingen zu bewegen, und somit immer weniger das Intuitionsgedächtnis nutzen, das solche Handlungen bahnt. Die permanenten negativen Affekte und das wahrscheinlich durch zunehmende Misserfolge und Nichterfüllungen immer stärker lädierte Selbstbild lassen auch die Ansätze solcher Fähigkeiten erodieren - ein Teufelskreis. Dazu kommt die so genannte Entfremdung, dass man von außen gestellte Anforderungen fälschlich für den eigenen Willen hält, was sie aber nicht sind - und weshalb man sie nur mit größten Schwierigkeiten und irgendwann vielleicht gar nicht mehr erledigen kann. Dieser Entfremdungseffekt wurde experimentell bestätigt.

Letztlich ist die autoritäre und gewaltsame Selbstkontrolle extrem energieaufwändig und ineffizient. Das zeigen auch Untersuchungen etwa zu Diäten oder Raucherentwöhnung: Menschen, die es mit "Strenge gegen sich selbst" versuchten, hatten deutlich weniger Erfolg als Menschen, die sich positiv motivieren konnten. Bei handlungsorientierten Menschen, die ihre Emotionen zumindest zum Teil ausblenden können, halten sich nach außen sichtbare, negative Folgen in Grenzen, aber bei lageorientierten Menschen, die in negativen Emotionen fest stecken wie in einem zähen Sumpf, führt dies zu schweren Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit (insbesondere bezüglich äußerer, nicht akzeptierter Anforderungen) und manchmal zum Totalversagen.

Überwiegende Handlungs- und Lageorientierung sind nach der PSI-Theorie Persönlichkeitsmerkmale, die langfristig festgelegt und nicht oder nur schwer und eingeschränkt zu ändern sind - wobei übermäßige Lageorientierung gerade auch durch fehlende Fähigkeit zur Emotionsregulation mitbedingt ist. Lageorientierte Menschen, die nur wenig Möglichkeiten haben, unattraktive Aufgaben durch Emotionsregulation in ihr Intuitionsgedächtnis zu bekommen und damit ohne massive Gewalt gegen sich selbst zu erledigen, werden an unattraktiven Pflichten zwangsläufig immer wieder scheitern oder sie nur mangelhaft erledigen - sie können gar nicht anders. Denn der "innere Schweinehund" wird immer stärker, je mehr sie sich zu zwingen versuchen, Intentions- und Intuitionsgedächtnis arbeiten gegeneinander und das Austricksen dieses Antagonismus durch einen "Trostimpuls" funktioniert nicht.

Was sagt die PSI-Theorie aus?

Im Wesentlichen macht die PSI-Theorie die Fähigkeit zur Selbststeuerung (Emotionsregulation) bzw. Selbstdisziplin (in der PSI-Theorie: Zwang), den beiden grundsätzlich verschiedenen Modi der Handlungssteuerung gegen die reine Lust und Neigung, von der frühkindlichen Entwicklung abhängig. Sie sagt nichts über genetische Veranlagungen oder sonstige frühkindliche Erfahrungen aus, die wahrscheinlich ebenfalls für die unterschiedliche Disziplinbegabung (hier inklusive Selbstregulation) der Menschen verantwortlich sind.

Auf jeden Fall zeigt sie aber, dass fehlende Selbststeuerung/-disziplin stabile Gegebenheiten sind, die man nicht einfach ändern kann, indem man "sich zusammen reißt" - dies wäre überdies nur autoritäre Selbstkontrolle, die positive Selbstregulation zunehmend noch unmöglicher macht. Es bedarf vielmehr eines komplexen Trainings und ggf. Therapie, um überhaupt Änderungen zu bewirken; mit einiger Wahrscheinlichkeit lässt sich ein Versagen aller Selbststeuerungsmechanismen gar nicht mehr in den Griff kriegen. Kuhl legt nahe, dass evtl. durch intensives Verständnis und Einfühlung ein positives Selbstbild geschaffen werden kann - als eine fertige Lösung erscheint dies aber nicht bei ihm.

Ihre große Stärke ist die schlüssige Darstellung konkurrierender und gegeneinander arbeitender Denksysteme der gleichen Person, die bekannteste (und älteste) sonstige Darstellung eines solchen Antagonismus ist das Freud'sche Instanzenmodell (Es, Ich, Über-Ich).

Konsequenzen

Es zeigt sich vor allem deutlich, wie falsch die gängigen Stammtischparolen sind, wonach man etwas "nur wollen" oder "sich zusammen nehmen" muss. Und auch politische Bestrebungen, Menschen mit Disziplinstörungen mit Zwang an unangenehme Aufgaben gewöhnen zu wollen, werden keinen echten Erfolg zeigen. Abgesehen davon, dass viele Zwangsmaßnahmen etwa gegen Arbeitslose reiner Sadismus sind, der darauf abzielt, ihnen ganz gezielt besonders belastende Pflichten aufzudrücken und ihnen das vermeintlich lockere Leben zu vermiesen: Zwang kann kein Mittel sein, echte Selbstdisziplin (korrekt nach der PSI-Theorie: Selbstregulation) zu erzeugen. Die Betroffenen werden ständigem Horror und existenziellen Drohungen ausgesetzt; meistens schaffen sie gerade das, was man aus ihnen herausprügelt, aber auch nur, solange sie konkret gezwungen und bedroht werden.

Zwang und negative Affekte bei einer zu erledigenden Aufgabe blockieren die Ausführung in der intuitiven Verhaltenssteuerung (emotionaler Wille), die dadurch zum "inneren Schweinehund" wird - eine der so genannten Modulationsannahmen der PSI-Theorie. Positive Selbststeuerung kann jemand nur erreichen, wenn er es schafft, die negativen Emotionen abzustellen - was mit Drohungen oder unsinnigen Pflichten, die unter Umständen einzig der Schikane dienen, nicht geht.

Das ist keine Garantie, dass sich jemand zur fleißigen Arbeitsbiene auch bei unangenehmen Pflichten umpolen lässt (so weit muss es auch gar nicht gehen) - aber positives Lernen von Selbststeuerung ist ein wichtiger Weg sowohl für die Umsetzung äußerer Anforderungen (insbesondere, ohne dabei einen ständigen Horror zu haben), als auch für die Selbstbestimmung, dass man selbst gesteckte Ziele erreichen kann, auch, wenn sie die Erledigung unangenehmer Aufgaben erfordern (statt nur immer den einfachen und bequemen Weg gehen zu können).

Und wenn eine Therapie - eine solche wäre wohl auf jeden Fall erforderlich - nicht anschlägt und derjenige keine Selbststeuerung zur Umsetzung äußerer Anforderungen umsetzen kann, sollte man das zumindest so weit akzeptieren, dass man darauf verzichtet, ihn durch Bedrohung dazu zu zwingen oder ihm gar nutzlose Pflichten als reine Schikane aufzudrücken. Durch Zwangsarbeit wurden noch nie gute Leistungen erbracht, und unsere Gesellschaft hat es nicht nötig, aus Menschen, die etwas von Natur aus nicht können, mit übelster Schinderei minimale Arbeitsleistung heraus zu prügeln. Ein "Sozialneid nach unten" gegen Disziplinunbegabte, der ihnen selbst ein ruhiges Leben missgönnt und sie deshalb gängeln und herumscheuchen will, steht einem zivilisierten Land nicht gut!

Sonntag, 17. April 2011

Warum das Hartz IV-Bildungspaket scheitern muss

Der Spiegel Online berichtet (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,757284,00.html), dass das von Ministerin von der Leyen propagierte Hartz IV-Bildungspaket floppt, weil nur ein kleiner Teil der Berechtigten Anträge gestellt hat – und die angeblich auch noch oft von „bescheidener“ Qualität sind. Und am 30.April läuft die Antragsfrist für rückwirkende Zahlungen ab.

Da sind zum einen anhaltende Streitigkeiten von Politik und Ämtern, sowie verbleibende Unklarheiten. Zum anderen hatten Behörden keine Antragsformulare vorrätig, verweigerten aber, rechtswidrig, die Annahme formloser Anträge. Es gab offensichtliche Versuche, Antragsteller abzuwimmeln oder auszutricksen, indem man sie entweder zwischen verschiedenen Behörden hin- und herschickte, die Anträge nicht annahm oder später einfach behauptete, es seinen keine gültigen Anträge eingegangen.

Doch über all diese Dinge hinaus gibt es wesentliche Gründe, warum überhaupt so wenige Anträge abgegeben werden. Gegenüber dem Spiegel wurde die Problematik so angedeutet, dass „vor allem die Eltern Geld beantragten, die sich auch früher schon viel um ihre Kinder gekümmert hätten“, und dann: "Die wirklich Abgehängten erreichen wir immer noch nicht.". Denn so ein Antrag ist immer eine relativ komplexe Formalität. Man muss sich erst mal informieren, was es überhaupt im Einzelnen gibt, wie es beantragt wird und am Ende, was man alles beibringen muss, um überhaupt den Antrag bewilligt zu bekommen. Das lange Fehlen offizieller Anträge stellt somit schon mal eine Hemmschwelle dar, denn nicht jeder traut sich, so einen Antrag selbst zu formulieren, oder ist dazu ohne weiteres in der Lage. Muss dann noch über jede kleine Ausgabe Buch geführt werden und müssen für alles Belege beigebracht werden, ist selbst ein Normalbürger, der nicht in Hartz IV steckt, schnell überfordert. Und die mittlerweile erhältlichen Formulare enthalten an allen Punkten den Horrorsatz jedes Behördenformulars: „Bitte Nachweise beifügen!“. Heißt: Stundenlang sämtliche Papierstapel zu Hause durchwühlen, herumlaufen, um Bescheinigungen zu bekommen, und in manchen Fällen, wenn man etwa nicht jede einzelne Busfahrkarte des Kindes aufgehoben hat, lässt es sich eben nicht mehr beweisen.

Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV-Bezug sind nicht selten (aber keineswegs immer!) mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften verknüpft, die das Bearbeiten von Formalitäten besonders erschweren: Selbst der Normalbürger ist kein Buchhalter, aber im Sozialleistungsbereich gibt es eine erhebliche Zahl von Menschen mit so stark eingeschränkter Disziplinbegabung, die es praktisch unmöglich macht, regelmäßige Buchführung zu betreiben. Entsprechende Tätigkeiten können nur bei einem konkreten Anlass und akutem Druck ausgeführt werden. Auch die wohl als willkürliche Schikane gedachte, exzessive Heimbürokratie im Zusammenhang mit Hartz IV-Bezug kann dann nur im letzten Moment und unter existenzieller Bedrohung erledigt werden.

Und nun soll es für Kinder der Betroffenen Beträge von rund 10 Euro im Monat geben. Einiges an Geld für Hartz IV-Empfänger, aber es macht den Kuchen nicht fett. Nun sollen sich also die Betreffenden quälen, alles Mögliche anleiern und Heimbürokratie auch ohne konkreten Zwang erledigen, für 10 Euro im Monat. Außerdem müssen sie ja erst einmal losgehen und Sportvereine heraussuchen, ihre Kinder anmelden und dergleichen – etwas, was sie seit Jahren oft nicht gemacht haben und wofür sie, krass ausgedrückt, erst mal eine neue Art von Leben anfangen müssen.

Ja, es geht hier um jene Art von Hartz IV-Empfängern, die ganz dem Klischee entsprechen: den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen, Thrash-TV schauen und sich und ihre Kinder (die nicht selten durch häufiges Vergessen der Pille entstanden) mit Junkfood fett futtern; die Suche nach Arbeit ist längst aufgegeben und wird nur noch pro forma erledigt, um nicht Hartz IV-Streichungen anheim zu fallen. Um jene Menschen, die arrogante und menschenfeindliche Manager bisweilen als „Wohlstandsmüll“ bezeichnen und die „Neoliberale“ und zahlreiche selbsternannte Sklaventreiber am liebsten zu den niedersten Arbeiten prügeln würden. Wie gesagt, beileibe nicht alle Hartz IV-Empfänger gehören zu dieser Gruppe, aber sie ist bedeutsam.

Aber was bringt sie zu solchem Verhalten? Der nahe liegende Begriff „Faulheit“ suggeriert eine Wahlfreiheit, dieses Verhalten aus eigener Kraft ändern zu können, die diese Menschen nicht haben. Denn die Fähigkeit, sich zu unangenehmen Aufgaben bewegen zu können, sowie der innere Widerstand dagegen, sind bei Menschen von Natur aus unterschiedlich ausgeprägt und können nicht durch Willensentscheidungen oder kurzfristiges Lernen geändert werden. Ob beispielsweise ein Hartz IV-Empfänger einen Antrag für das Bildungspaket ernsthaft ausfüllt (mitsamt all den komplizierten Nachweisen), hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Das ist zum einen das Kosten-Nutzen-Verhältnis – was springt für den Aufwand heraus? Das Ergebnis, rund 10 Euro im Monat, ist für alle gleich. Aber die Kosten, und die Möglichkeit, sie überhaupt aufzubringen, sind unterschiedlich: Jemand, dem Heimbürokratie keine große Last ist, der sich nur einen Ruck geben muss, um auch komplizierten Papierkram zu erledigen, der noch dazu alle Belege sauber abgeheftet in Ordnern stehen hat, der hat einen objektiven Profit daraus. Doch wer sich erst fürchterlich quälen muss, wer nach jeden Beleg stundenlang suchen oder tagelang hinterher laufen muss, für den ist der Aufwand und die Selbstüberwindung derart horrend, dass er wahrscheinlich lieber auf das Geld verzichtet, auch, wenn er es eigentlich dringend für seine Kinder braucht.

Und noch einfacher ist die Frage, ob jemand diesen Aufwand überhaupt aufbringen kann, wenn nicht eine existenzielle Drohung, wie die komplette Streichung des Hartz IV, damit zusammen hängt, unter Umständen sogar nicht mal dann. Die Frage, ob man ein Geschäft eingehen würde, bei dem man eine Million Euro investiert und 2 Millionen heraus kriegt, wird für die meisten daran scheitern, dass sie keine Million zum Investieren haben. Genau so ist es mit der Energie für die Erledigung einer unangenehmen Aufgabe: Ist der Aufwand zu hoch und die Aufgabe von horrendem Charakter, wie etwa eine komplexe Formalität für einen disziplinschwachen Menschen, so kann der Aufwand nicht erbracht werden, auch, wenn der Ertrag noch so hoch ist.

Nun kann man zwar mit Zwang und existenziellen Drohungen Leistungen in einem gewissen Maße aus den Menschen heraus pressen. Dies ist aber einerseits ein Angriff auf deren Menschenwürde, zum anderen wird damit genau nicht das erreicht, was diesen Menschen fehlt, nämlich selbstbestimmtes Handeln, auch dann, wenn es unangenehme Dinge zu überwinden gilt, weil man höhere Ziele erreichen will. Ihnen ist es nur möglich, immer den einfachsten Weg zu gehen, was entweder zu einem thrashigen Lebensstil führt, oder dazu, dass sie unter schlimmster Quälerei gerade das Minimum an Leistung erbringen, das sie erbringen müssen. Diese Menschen KÖNNEN unangenehme Arbeiten nicht aus freiem Antrieb erledigen – einen entsprechenden freien Willen haben sie nicht! Die Frage, ob sie eine Sache tun können, hängt einzig daran, ob sie ihnen angenehm oder unangenehm ist, bzw. überhaupt erst in den Sinn kommt.

Dem Konzept „Fördern und fordern“ liegt eine primitive Sklaventreiber-Ideologie zu Grunde, dass Menschen, die aus eigenem Antrieb nichts leisten können, dazu gezwungen werden sollen, und auch die Idee, dass häufiger Zwang zu unangenehmen Arbeiten und Pflichten zu einer Gewöhnung und letztlich selbständigen Erledigung aus eigenem Antrieb führen könne. Ersteres ist aber nur ein Angriff auf die Menschenwürde, denn die so erpressten Leistungen sind minimal im Vergleich zu dem, was Menschen mit echter Disziplinbegabung, zusammen mit vielen anderen Begabungen, leisten können. Und eine Verbesserung der Verhaltensoptionen dieser Menschen findet auch nicht statt; im Gegenteil: durch den Zwang und die Drohungen werden die Pflichten immer mehr zum Horror und können nur unter immer stärkeren Drohungen erledigt werden.

Daher sollte man auch keineswegs auf die Idee kommen, die Anträge auf das Bildungspaket zur Pflicht für Eltern in Hartz IV-Bezug zu machen!

Wenn die Einforderung von Arbeiten und Pflichten zur reinen Schikane verkommt, entwickelt man natürlicher Weise und zu Recht eine Trotzhaltung. Das fängt mit der Beschränkung der Öffnungszeiten von Ämtern und Argen auf die frühen Morgenstunden an. Es gibt keine objektive Notwendigkeit und keinen Sinn für Langzeitarbeitslose, früh aufzustehen; sobald der Amtstermin erledigt ist, schlafen sie eh wieder so lange, wie es ihnen gefällt, und wenn sie tatsächlich mal eine Arbeit erlangen sollten, ist das ein ganz anderer Fall. Es setzt sich fort mit den unzähligen, aus bewusster Schikane umfangreich gehaltenen Hürden der Heimbürokratie, und endet in so genannten „Workfare“-Konzepten, Zwangsarbeit, die, anders als die gängige Bürgerarbeit, vor allem unangenehm und sinnlos und damit reine Schikane sein soll, um die Menschen vom Bezug von Sozialleistungen abzuschrecken oder sie wenigstens dafür zu bestrafen. Ein selbstbestimmtes Leben, das es Menschen ermöglicht, mit unangenehmen Aufgaben wirklich fertig zu werden, kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

Wirklich disziplinierte Menschen erledigen unangenehme Aufgaben nicht unter Zwang und Drohungen, auch nicht dadurch, dass sie sich selbst dazu quälen, sondern können entweder alle Aversionen abstellen, um wie Roboter zu arbeiten, oder können sich sogar positiv motivieren („damit es meiner Familie gut geht, mache ich gerne diese Arbeiten“). Ob solche Haltungen und Verhaltensweisen für jeden erlernbar sind, ist höchst fraglich. Wahrscheinlich ist eine extreme und unüberwindbare innere Hemmung gegen unangenehme Pflichten erblich oder in früher Kindheit entstanden – mehr dazu bald in diesem Blog – und kann nur sehr schwer oder gar nicht beseitigt werden. Schon gar nicht durch den reinen Willen der Betroffenen – denn eine unangenehme Pflicht kann normaler Weise niemand wirklich wollen. Ist dann noch die Pflichteinforderung nur für Selbstverständlichkeiten, wie Nahrung, Kleidung oder Unterkunft, oder gar reine Schikane ohne jeden weiteren Zweck, dann wird die Überwindung der Aversionen noch unmöglicher.

Ich halte es für falsch, in derartigen Handlungshemmungen eine reine Bequemlichkeit zu sehen. Denn die Unfähigkeit, sich zu unangenehmen Dingen zu überwinden, sie auch aus eigenem Antrieb und regelmäßig zu tun, auch, wenn einem gerade keiner sinngemäß die Pistole an den Kopf hält, hindert Betroffene an der Erreichung wesentlicher Lebensziele und auch positiver Erträge. Es ist eben gerade keine Selbstbestimmung, wenn man gerade immer nur den einfachsten Weg gehen kann, sondern effektiv eine Behinderung. Das heißt, es sollten einerseits wirksame Therapien entwickelt werden, sofern dies möglich ist. Wobei von vorne herein klar ist, dass diese relativ lang, schwierig und komplex werden können. Zum anderen sollte es auch als solche akzeptiert und nicht als schuldhaftes Fehlverhalten dargestellt werden, und es soll auf das Auferlegen nicht unbedingt notwendiger Arbeiten und Pflichten für die betroffenen Menschen verzichtet werden.

Unsere Gesellschaft hat es nicht nötig, aus einer Minderheit von Menschen eine minimale Arbeitsleistung heraus zu prügeln, während andere mit viel weniger innerer Überwindung viel mehr leisten können, so dass sie ohne große Last auch die nicht leistungsfähigen mit ernähren können. Die Ursklaverei, der Zwang, nur für sein bloßes Dasein arbeiten und Leistung erbringen zu müssen, sollte in einem reichen, hoch technisierten und zivilisierten Land ohnehin längst Vergangenheit sein! Und ein übermäßiger „innerer Schweinehund“ ist eine Behinderung, genau so wie eine Behinderung körperlicher Natur, und nichts, was man mal eben so abstellen kann, wenn man nur will. Die Stammtischparolen, dass Betroffene „einfach zur Bundeswehr hätten gehen sollen“ oder sich „nur zusammen nehmen müssen“, sind gefährlicher Unsinn, der den Betroffenen schlimmes Leid verursacht. Mit gutem Grund wird derartiges etwa von Suchtkranken seit langem nicht mehr behauptet. Und es gilt zu verhindern, dass mit diesem oftmals böswilligen Aberglauben und nicht selten mit reinem Sadismus Politik gemacht wird!

Das Hartz IV-Bildungspaket war vielleicht gut gemeint, aber es wird wahrscheinlich scheitern, weil die Hürden für viele in der Zielgruppe zu hoch sind. Hartz IV-Empfänger sind eben meistens keine verkappten Buchhalter. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Ämter wenigstens in den letzten Apriltagen in einer Flut von Anträgen ersticken!

Montag, 10. Januar 2011

House of Games - ein alternativer Lebensentwurf

Computerspiele und Internet stellen heute für viele einen wesentlichen Teil ihrer Freizeitgestaltung dar, gleichzeitig benötigen viele gar keine große und komfortable Wohnung. Im Gegenteil, eine 50qm-Wohnung belastet einen Alleinstehenden unnötig mit Putzen und Aufräumen, und er braucht vielleicht so viel Platz gar nicht. Es bietet sich also an, den Wohnraum auf ein Minimum zu reduzieren und die Ausstattung auf das Wesentliche, dies aber gut und komfortabel, zu beschränken. Lebensmittelpunkt innerhalb der Wohnung ist dabei der Computer - für Spiele, Informationsbeschaffung, Kommunikation und auch, falls vom Bewohner gewünscht, für Arbeiten. Neben einer bedarfsgerechten Ausstattung für erwerbstätige Alleinstehende kann so eine Wohnung auch längerfristige oder dauerhafte Unterkunft für Erwerbslose sein, die eine Kostenumlagerung, weg von den Unterkunftskosten hin zu einem akzeptierten, zumindest einigermaßen guten Leben, bedeutet. Dafür müsste freilich auf Versklavungsideologien verzichtet werden, nach denen Erwerbslose höchstens das absolut zum Leben notwendige haben und vor allem zur Arbeitsaufnahme gezwungen werden sollen.

Wer das Leben am Computer als wichtigsten Teil seines Tagesablaufs betrachtet, was zumindest phasenweise bei nicht wenigen Menschen vorkommen dürfte, für den ist eine einfache Unterkunft völlig ausreichend. Toilette und Dusche können, ähnlich wie bei Wohnwagen, kompakt und aus einem Guss (Plastik) sein. Das erleichtert auch die Reinigung, die einfach mit dem Duschschlauch statt finden kann. Dazu kommt eine kleine Kochstelle mit Kühlschrank und -wichtig- einem Mini-Geschirrspüler. Das Ansammeln verdreckten Geschirrs in der Kochecke oder der Wohnung insgesamt wird so wirkungsvoll verringert. Das Bett kann ein Hochbett sein, mit darunter integriertem Kleiderschrank. Als Platz zum Essen kann ggf. der Computertisch ausgezogen werden. Allerdings ist damit zu rechnen, dass viele Bewohner Mahlzeiten und Snacks direkt am Computer einnehmen; für das Problem verdreckter Tastaturen gibt es an dieser Stelle keine Lösung.

Wie alle alternativen Lebensentwürfe ist das House of Games nicht jedermanns Sache - sicher wird auch mancher Gamer mehr Platz in seiner Wohnung für soziale Aktivitäten wollen und die kleine Wohnbox ablehnen. Insofern ist es ein Nischenwerk, genauso wie ein Bauwagenplatz oder eine Hippiekommune. Außerdem würde es für viele Bewohner nur einen Lebensabschnitt darstellen; für Menschen im Erwerbsleben unter Umständen so etwas wie ein so genanntes "Sabbatical", also eine längere Pause vom Arbeitsleben, die ausschließlich der Freizeitgestaltung gewidmet wird.

Man muss davon ausgehen, dass viele der Bewohner keine Lust haben, einen Großteil ihrer Zeit mit lästigen Haushaltsarbeiten wie Putzen, Spülen, Saugen und dergleichen zu verschwenden. Um dennoch eine akzeptable Hygiene zu erhalten, soll es einerseits möglichst wenig Platz und Gegenstände geben, die Reinigung oder sonstige Arbeiten benötigen. Zum anderen sollte möglichst viel automatisiert sein, daher der Geschirrspüler und das Kompakt-Bad, das einfach mit dem Duschschlauch gereinigt werden kann. Der Boden kann nach Wahl des Bewohners glatt oder Teppich sein; der Reinigungsaufwand ist u.U. beim Teppich sogar geringer. Idealer Weise verwenden die Bewohner automatische Reinigungssysteme, wie Roboter-Staubsauger, sobald diese zu einem erschwinglichen Preis und in hinreichender Qualität erhältlich sind. Auch ein RFID-basiertes Ortungssystem für Alltagsgegenstände und eine damit kombinierte, einfache und ungeordnete Unterbringung der Habe in Behältern, wäre wünschenswert. Der Wunsch, unangenehme Arbeiten und Pflichten auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, wird im Rahmen des Projekts respektiert und unterstützt. Auf der anderen Seite sollte jeder Bewohner unabhängig sein; gemeinsame Anlagen von Duschen, Toiletten oder Küchen sind zu vermeiden, um Konflikte, etwa über den nötigen Sauberkeitsgrad oder die Erledigung nötiger Arbeiten, zu vermeiden.

Der Computer ist das absolute Herzstück einer solchen Wohnbox. Er ist die Multimedia-Zentrale: Spielgerät, Internetterminal, Fernseher, Telefon, Arbeitsgerät, Kommunikationsinstrument mit anderen Menschen in der Umgebung. Folglich sollten die Bewohner hier auch stark investieren können. Bei Erwerbslosen wäre es auf jeden Fall angebracht, einen Teil des Geldes, das man gegenüber einer herkömmlichen Wohnung einspart, als Technik- und Softwarebudget auszuzahlen - zu denken wäre hier an etwa 100-150 Euro im Monat. Die Einsparung gegenüber einer herkömmlichen Wohnung sollte hierfür mehr als ausreichend sein. Grundsätzlich sollen die Bewohner dabei selbst entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben. Bewohner des House of Games benötigen in der Regel weniger Geld für Einrichtungsgegenstände, Kleidung und andere Dinge des alltäglichen Lebens. Entsprechend sollte das Haus voll vernetzt sein und alle aktuellen Technologien auf diesem Bereich unterstützen.

Für die Umsetzung würde sich ein klassischer Plattenbau eignen, wie er in vielen Trabantenstädten zu finden und als "Schrottimmobilie" günstig zu erwerben ist. Zur Sicherheit der Bewohner vor Belästigungen, Übergriffen oder sonstiger Kriminalität sollte die Wohngegend jedoch nicht allzu schlecht sein. Die bisherigen Wohnungen würden ersetzt durch Reihen kleiner Wohnboxen mit einer Länge von etwa 2,5x6 bis 3x8 Meter, von denen eine deutlich größere Zahl in dem Gebäude untergebracht werden kann als normale Wohnungen. Die Zwischenwände und -decken müssen dabei gut schallisoliert sein, um die gegenseitige Störung der Bewohner zu verhindern. Selbstverständlich sollte beim Umbau auch eine zeitgemäße Wärmeisolierung nach außen hin installiert werden. Weitere, größere Investitionen stünden für Strom-, Gas-, Wasser- und Datenleitungen an, die in weit höherer Zahl benötigt werden als bei herkömmlichen Wohnungen. Zum Zweck der Hygiene sollten zumindest wohnungsnah Müllschlucker installiert werden, die auch verschiedene Abfallsorten getrennt aufnehmen können. Sinnvoll wären einige Sozialräume, da in den Wohnboxen selbst nur begrenzt soziale Aktivitäten stattfinden können. Wenn das Gebäude von Grünflächen umgeben ist, sollte es den Bewohnern möglich sein, freiwillig Gartenparzellen zur Pflege und zum sommerlichen Grillen zu übernehmen - ein Zugeständnis daran, dass Gartenarbeit klassischer Weise eher gute Arbeit als lästige Pflicht ist.

Die Kosten wären wesentlich geringer als bei einer normalen Wohnung, allein deshalb, weil sich auf der Grundfläche einer herkömmlichen Wohnung mindestens drei, bei größeren Wohnungen auch mehr Wohnboxen unterbringen lassen; die Grundkosten des Gebäudes werden auf eine größere Zahl Bewohner verteilt. Schätzungsweise wäre eine Kaltmiete von unter 100 Euro möglich; mit weiteren Kosten vielleicht 120 bis 130 Euro. Zu den potentiellen Mietern oder Eigentümern gehören neben arbeitenden oder erwerbslosen Menschen auch sonstige, klassische Kunden für Kleinstwohnungen, wie Studenten oder Berufstätige mit Partner oder Familie und Zweitwohnsitz. Einige Bewohner werden das House of Games nach einiger Zeit wieder verlassen, wenn sie etwa eine Liebesbeziehung eingehen, eine Familie gründen oder sich einem anderem Freizeitverhalten zuwenden, das hier nicht mehr umsetzbar ist.

Geringe Heiz- und Energiekosten (mit Ausnahme des Computers) haben auch Vorteile für die Umwelt; ein Bewohner des House of Games verbraucht weit weniger Ressourcen an Energie und Rohstoffen als ein Bewohner einer gewöhnlichen Wohnung. Dazu kommt, dass viele Bewohner wahrscheinlich auf ein eigenes Auto verzichten werden, wenn alle alltäglichen Bedürfnisse zu Fuß, mit Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen sind.

Doch das House of Games soll nicht nur Unterkunft sein, sondern auch in seiner Gestaltung Spaß und Lebensfreude vermitteln. Den Namen habe ich gewählt, weil er an blinkende Lichter und ratternde und klingelnde Automaten in einem Spielerparadies wie Las Vegas erinnert. Nur mit dem Unterschied, dass darin nicht um Geld gespielt wird, sondern dass Computerspiele darin einen wesentlichen Bestandteil des Lebens darstellen. Entsprechend kann das Gebäude auch gestaltet werden: bunte Lichter, Einrichtungen, die an Computerplatinen oder sonstige IT-Gegenstände erinnern, Bilder von Computerspiel-Figuren und ähnliche Elemente. Denn ein trister Plattenbau soll das House of Games am Ende nicht (mehr) sein!

Siehe auch:
Erzwungene Arbeit und Pflichten: Ein Übel, das zu bekämpfen ist! (Einführung)

Mittwoch, 5. Januar 2011

RFID: Ortung statt Ordnung!

Das System der Radio Frequency Identification (RFID) wird in der Wirtschaft zunehmend zur Kennzeichnung von Waren verwendet, um diese besser verwalten zu können. Kleine, preiswerte Etiketten mit Mini-Funksendern kennzeichnen die Artikel und liefern bei Bedarf Informationen über sie. Doch auch im Privatbereich ist RFID einsetzbar: Gegenstände im Haushalt können mit RFID-Etiketten gekennzeichnet und somit leicht über einen Peilsender gesucht und geortet werden. Letztlich kann ein solches System den Zwang zu Ordnung, beziehungsweise das ständige Suchen nach verlegten Gegenständen, beseitigen.

Der Zwang, Ordnung zu halten, ist eine Alltagsplage, die bislang kaum überwunden wurde. Man muss sich schinden, oder, was häufig vorkommt, man scheitert an der Ordnungsforderung und muss sich seiner Messie-Wohnung schämen und ständig verlorene Sachen suchen. Dabei ist das Scheitern an der Ordnung fast vorprogrammiert, gehören doch dazu zwei Verhaltenskomponenten:
  • Das Aufräumen, eine lästige Pflicht, zu der man sich durch extreme innere Brutalität gegen sich selbst quälen muss. Da nur begrenzt äußere Kontrolle besteht (Besuch, Eltern, Ehepartner usw.), wird sie nicht oder erst im letzten Moment erledigt, da man sich die Gewalt gegen sich selbst ersparen will. Wenn man in seiner Wohnung kein festes System hat, ist Aufräumen besonders langwierig, weil die Sachen oft nur von einer Ecke in die nächste geräumt werden, ohne dass sie einen endgültigen Platz haben.
  • Das bewusste Überwachen und Durchdenken praktisch jedes alltäglichen Handgriffs, damit man gebrauchte Gegenstände sofort wieder an Ort und Stelle zurück legt. Wenn man also auf dem Sofa sitzt, eine Zeitschrift liest und dann plötzlich Hunger bekommt, muss man, wenn man in die Küche gehen will, erst daran denken, die Zeitschrift weg zu räumen. Klappt das nicht, aus mangelnder Disziplinbegabung, im verstärkten Fall bei Störungen wie dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS, ADHS), bleiben alle Gegenstände liegen, wo man sie gebraucht hat, die Zeitschrift, nach dem Essen das dreckige Geschirr, und die Wohnung sieht wenige Stunden nach dem Aufräumen so chaotisch aus wie vorher.
Es bietet sich also an, Technologien zu nutzen, die den Zwang zur Ordnung zumindest teilweise aufheben. Die RFID-Technologie wird derzeit vor allem benutzt, um Informationen über Artikel zu gewinnen, wie Bezeichnung, Haltbarkeit, Produktionsdatum und dergleichen. Die Artikel laufen auf einem Band durch einen RFID-Scanner oder ein Mitarbeiter geht mit einem Handscanner an ihnen entlang und liest die Informationen ein. Der RFID-Scanner enthält dabei einen Sender, der die RFID-Funketiketten an der Ware anspricht. Diese senden darauf hin ihre Informationen zurück zum Scanner.

Es gibt dabei verschiedene Typen von RFID-Etiketten (so genannten "Tags" oder "Transponder"):
  • Etiketten für sehr kurze Distanz (ca. ein Zentimeter): Sie funktionieren wie bisher schon Barcodes, indem sie mit einem Handscanner oder einer Scannerschranke ausgelesen werden können. Für die Suche ungeeignet, weil die Position des Gegenstands bekannt sein muss.
  • Etiketten für kurze Distanz (bis ein Meter): Ähnlich wie bei sehr kurzer Funkdistanz ist hier die Reichweite ungenügend zur Suche und Ortung.
  • Etiketten für mittlere Distanz (ein bis mehrere Meter): Sie eignen sich für die Suche nach Gegenständen, indem man etwa ein Zimmer mit dem Scanner absucht. Die Etiketten sind preiswert (sog. passive RFID-Tags) und damit für die Kennzeichnung einer Vielzahl von Gegenständen geeignet.
  • Etiketten für große Distanz (5 bis >15 Meter): Sie eignen sich für das Absuchen eines größeren Bereichs, müssen aber so genannte aktive RFID-Tags sein, die eine eigene Energiequelle haben und deutlich teurer sind, daher nicht für die massenhafte Kennzeichnung von Haushaltsgegenständen geeignet.
(Die Definitionen weichen von den sonst gängigen etwas ab, da Reichweiten unter einem Meter für den hier genannten Zweck nicht ausreichen)

Die RFID-Chips selbst müssten angepasst werden, so dass sie nur auf bestimmte Anforderung hin reagieren und Funksignale senden. Herkömmliche RFID-Transponder antworten immer, wenn sie auf ihrer Frequenz angesprochen werden. Zwar gibt es verschiedene Verfahren, um mehrere RFID-Chips gleichzeitig antworten zu lassen und die Antworten auszuwerten. Wenn sich aber bei einer Suche hunderte RFID-Chips an Gegenständen zurück melden, sind die meisten gängigen RFID-Systeme überfordert. Es sollen also sich nur jene RFID-Chips auf die Anfrage des Suchgeräts hin melden, die bestimmte, gewünschte Merkmale haben: eine bestimmte Identifikation, die einem konkret gesuchten Gegenstand entspricht, oder eine festgelegte Gruppe von Gegenständen( z.B. Werkzeuge, Bücher, Dokumente, Kleidung).

Die wichtigste Anpassung muss aber am RFID-Scanner statt finden, denn hier geht es, anders als bei der herkömmlichen RFID-Anwendung, nicht um Informationen über den Gegenstand, sondern um seine Position. Der Scanner muss also nicht einen Informationstext ausgeben, sondern eine Visualisierung haben, welche die ungefähre Richtung und Entfernung des Gegenstands anzeigt. Solche Visualisierungen (z.B. "Radarschirm") sind für andere Funkortungen, etwa von WLAN und Bluetooth, schon gängig und können einfach auch auf RFID übertragen werden.

Die meisten verwendeten RFID-Etiketten erzeugen aus dem Funkimpuls des Scanners Strom und senden damit ihr eigenes Funksignal zurück. Sie haben also keine eigene Energiequelle und werden deswegen passive Tags genannt. Die Reichweite ihrer zurück gesendeten Signale kann mehrere Meter betragen, womit sie für den genannten Zweck brauchbar sind. Weiter gibt es die aktiven RFID-Tags, die eigene Stromquellen haben und damit wesentlich größere Antwortreichweiten erzielen.

Für unterschiedliche Gegenstände gibt es unterschiedliche, geeignete RFID-Etiketten:
  • Standardetiketten: für alle Gegenstände, wo keine besonderen Belastungen oder Anforderungen vorliegen, also etwa ein etwas dickeres Etikett kein Problem darstellt
  • Folienetiketten: für Bücher oder Papier-Dokumente, CD/DVD
  • Vor Wasser, Chemikalien usw. geschützte Etiketten: Kleidung (Waschen)
  • Vor mechanischer Belastung oder Zerstörung geschützte Etiketten, z.B. für Werkzeuge
  • Wechseletiketten, die nacheinander auf verschiedene Gegenstände aufgeklebt werden können: für Einwegverpackungen, Flaschen usw., die nach Verbrauch weggeworfen und durch neue ersetzt werden.
  • Aktive Tags, teuer, aber mit großer Reichweite: Für wenige, besonders für Verlegen anfällige Gegenstände, z.B. Schlüssel, Geldbörse, Brille
Ein solches System würde das Verlegen und Suchen von Gegenständen praktisch eliminieren. Sachen können beliebig herumliegen, was stundenlanges Aufräumen und die bewusste Überwachung jedes Handgriffs, um gebrauchte Gegenstände gleich wieder an Ort und Stelle zurück zu legen, überflüssig macht. Millionen von Menschen könnten den aussichtslosen Kampf gegen das Chaos aufgeben und sich wieder auf wichtige Dinge konzentrieren. Selbst in einer extremen Messie-Wohnung können die Bewohner nötige Gegenstände per Scanner fast so schnell finden wie ein ordentlicher Mensch, der sie stets an Ort und Stelle liegen hat.

Weil aber extremes Chaos auch optisch unschön aussieht, wäre ein System von Nutzen, das dieses Chaos kaschiert und trotz fehlender Fähigkeit der Bewohner zur Ordnung einen ansprechenden Eindruck macht. Ideal hierzu wäre ein System von Kisten und Regalen, in welche die Kisten gestellt werden. Die Regale und Kisten werden äußerlich wie normale Möbelstücke gestaltet. Tatsächlich aber werden gebrauchte, herumliegende Gegenstände nur ungeordnet in Kisten gelegt; bei Bedarf geht man mit dem RFID-Scanner an ihnen entlang und sucht benötigte Dinge heraus. Das Aufräumen entfällt damit zwar nicht völlig, aber das ungeordnete Einpacken in Kisten dauert nur kurze Zeit, verglichen mit dem klassischen Aufräumen, wo Dinge sortiert und an Ort und Stelle gebracht werden müssen.

Eine aktuelle Technologie würde also hier genutzt, um besonders lästige und unangenehme Arbeiten überflüssig zu machen und Menschen, die dazu nicht in der Lage sind, von den damit verbundenen Nachteilen zu befreien.


Mancher mag diesen Text als Satire sehen, und wohl mancher Leser wird darüber lachen. Er ist aber in der Sache absolut ernst gemeint, und ich bin überzeugt, dass in den nächsten Jahren vergleichbare Systeme auf den Markt kommen!


Siehe auch:
Erzwungene Arbeit und Pflichten - Ein Übel, das zu bekämpfen ist!
RTLS - Real Time Locating (Wikipedia, engl.)
Schritte in die richtige Richtung:
Loc8tor
Armbanduhr gegen die Vergesslichkeit

Dienstag, 4. Januar 2011

Erzwungene Arbeit und Pflichten - ein Übel, das zu bekämpfen ist! (Einführung)

Sie stellen den Großteil des menschlichen Lebens dar: Arbeit und Pflichterfüllung, Tätigkeiten, die man nicht selbst gewählt hat, sondern zu denen man durch Staat, Gesellschaft, Umfeld oder einfach Sachzwänge genötigt wird. Das gute Leben aus Spiel, Spaß und selbst gewählten, kreativen Tätigkeiten ist eine realitätsfremde Illusion. Aber muss das so sein? Welche Alternativen gibt es? Die Alltagssklaverei zu überwinden, das soll eines der fortlaufenden Themen dieses Blogs sein.

Wenn man die Arbeit als solche betrachtet, kann man sie zunächst mal unterteilen in gute und schlechte Arbeit. Gute Arbeiten, das sind typischer Weise etwa: Heimwerken, Gartenarbeit oder Blogs schreiben. Schlechte Arbeiten sind: Putzen, Aufräumen, Steuererklärung. Erwerbsarbeit hat meist von beidem etwas. Wobei sie für jemanden, der von der Arge zu Drecksarbeiten zum Hungerlohn gezwungen wird, indem man ihm sonst das Hartz IV streicht, wohl eindeutig schlechte Arbeit ist. Kurzum: Es kommt darauf an, ob man eine Sache gern macht und direkt von ihr profitiert.

Nun kann man eine Sache grundsätzlich nur tun, indem man entweder von Natur aus Lust dazu hat, oder indem man sich mit innerer Gewalt dazu zwingt. Ersteres sind natürlich vor allem angenehme Dinge: Computerspielen, Trinken, Schlafen, Süßigkeiten futtern, aber eben auch gute Arbeiten und andere kreative Tätigkeiten. Zu allem anderen muss man sich mit Gewalt zwingen. Selbst, wenn eine solche Tätigkeit letztlich einer guten Sache dient, können die meisten Menschen dies nur als Anlass sehen, sich besonders zu quälen und damit die unangenehme Aufgabe zu erledigen, damit die gute Sache auch erledigt wird. Es gibt zwar offenbar auch eine Minderheit, die alle Emotionen abschalten und unangenehme Pflichten roboterhaft erledigen kann; manche können sich sogar für unangenehme Aufgaben positiv motivieren. Dies ist aber nicht die Regel und kann gewöhnlich auch nicht erlernt werden; somit muss man davon ausgehen, dass die Erledigung unangenehmer Aufgaben und Pflichten im Regelfall eine mehr oder minder starke Quälerei ist, welche das Wohlbefinden der Betroffenen empfindlich beeinträchtigt.

Dass jemand zu Tätigkeiten gezwungen ist, die er nicht machen will, ist letzlich eine leichtere Form von Sklaverei: Man wird zwar nicht in Ketten auf dem Marktplatz versteigert, ist aber doch für einen Großteil seines Lebens dazu gezwungen, Dinge zu tun, die man nicht tun will und die für einen darum eine Qual sind. Ob erzwungene Erwerbsarbeit, Heimbürokratie oder der Zwang zum Aufräumen und Putzen - stets ist man Sklave der gesellschaftlichen Erwartungen und Sachzwänge. Der Zwang, nur für sein bloßes Dasein zu arbeiten und Leistung zu erbringen, die Anforderung aus der Bibel: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen", wird hier als Ursklaverei bezeichnet, weil sie die ursprünglichste aller unangenehmen Verpflichtungen ist.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel getan, um Menschen von unangenehmen Aufgaben und Pflichten zu entlasten. Kaum einer kann sich einen Haushalt ohne Waschmaschine vorstellen; Spülmaschine und Wäschetrockner sind weitere Hilfen, um lästige Haushaltsarbeit los zu werden. Auch im Erwerbsleben gab es in der Zeit der "alten Bundesrepublik", bis etwa zur Wiedervereinigung, den Trend zu immer mehr Automatisierung und Rationalisierung, was den Menschen die unangenehme Arbeit abnahm.

Doch diese positive Tendenz hat die Gesellschaft nicht genutzt: Mit dem Wegfall von menschlicher Arbeit wurden Menschen erwerbslos, statt mit weniger Arbeit mehr Wohlstand zu haben, landeten sie in den Sozialsystemen, die eigentlich nur als Nothilfe konzipiert waren. Dies führte um die Jahrtausendwende zu einer verheerenden Rückentwicklung: Zunehmend wurden Billiglöhne statt Automatisierung propagiert, die Globalisierung sorgte für Konkurrenz durch Arbeiterheere im Ausland, die lächerliche Löhne, keinerlei Arbeitnehmerrechte und so gut wie keine soziale Absicherung hatten. Statt auf den Wegfall des Arbeitskräftebedarfs mit einer Verteilung des Wohlstands unabhängig von Arbeit zu sorgen, wurde zunehmend Arbeitszwang und damit Versklavung der Menschen propagiert. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Agenda 2010 der Schröder-Regierung, mit dem Zusammenstreichen von Sozialleistungen, verstärkter Nötigung von Arbeitslosen zur Arbeitsaufnahme und einer ganzen Reihe von Maßnahmen, deren Ziel ein extremes Lohndumping war.

Viele Medien schüren einen Sozialneid nach unten, indem sie über angeblich im Luxus lebende Sozialleistungsempfänger berichten, die sich weigern, zu arbeiten und oftmals den Staat betrügen. Diese Art Berichterstattung appelliert an einen niederen Instinkt jener Leute, die trotz harter Arbeit wenig haben, nämlich, anderen Menschen ein erträgliches Leben ohne Schinderei zu missgönnen. Die Sklaven sollen somit selbst zu Sklaventreibern gegen unwillige Sklaven werden. Es soll der Eindruck vermittelt werden, Sozialleistungen würden direkt das Einkommen der arbeitenden Menschen schmälern. Doch in der Tat zahlt ein Geringverdiener gar nicht so viel Steuern, dass dies für Hartz IV oder ähnliches relevant wäre.

Wir haben es hier mit dem zentralen Problem zu tun, dass viele das gute Leben ohne erzwungene Arbeit für illegitim halten. Und genau an der Stelle sollte -kreativ- gearbeitet werden. Wie wäre es etwa mit einem vollautomatischen System von Fabriken, landwirtschaftlichen Anlagen und Transportmitteln, das alle für den Grundbedarf nötigen Güter produziert, ohne dass die nicht arbeitenden Menschen damit andern auf der Tasche liegen? Oder damit, dass dort, wo richtig viel Geld fließt, abgeschöpft wird, so dass das Opfer nur klein ist, der Nutzen aber riesig. Glücklicher Weise finden vergleichbare Pläne auch Zustimmung, so etwa die für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Langfristig ist es absolut sinnvoll, Sozialleistungen weg von der Nothilfe hin zur Versorgung umzugestalten. Um ein wirklich menschenwürdiges Leben zu sichern, sollte der Staat alle Grundbedürfnisse gewährleisten: Essen, Unterkunft, Gesundheitsversorgung, einfache Unterhaltungs-, Kommunikations- und Transportmittel. Die von Versklavungsideologen so oft propagierte "Eigenverantwortung" ist nichts anderes, als den gesellschaftlich (Schichtsozialisation) und individuell (durch Begabungen) vorgezeichneten Weg in ärmliche Verhältnisse, bei Wegfall der Sozialsysteme in elementaren Mangel, den Betroffenen selbst zuzuschreiben, obwohl die fast keinen Einfluss darauf haben.

Entsprechend sollte auch im Privatbereich immer mehr automatisiert werden, damit unangenehme Haushaltspflichten entfallen: Was mit Wasch- und Spülmaschinen und Wäschetrocknern begann, soll mit automatischen Staubsaugern und Putzmaschinen, RFID-Ortungssystemen anstelle von Ordnung und Aufräumen und Computersoftware mit einheitlichen Schnittstellen zu Behörden, Krankenkassen usw. zur Erledigung von Formalitäten fortgesetzt werden.

Arbeit und Leistung werden damit keineswegs schlecht geredet, denn auch in einer weitgehend automatisierten Welt muss noch Arbeit gemacht werden, Kreativität und Leistung werden benötigt, um das Versorgungssystem am Laufen zu halten und effizienter zu machen. Aber es sollte kein Zwang mehr sein; die Ursklaverei nach dem Prinzip "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", gehört überwunden! Selbstverständlich können jene, die in einer Welt ohne Arbeitszwang noch Leistung erbringen, dafür auch Belohnungen erwarten, etwa Luxusgüter, die sich von Grundversorgung lebende Menschen nicht ohne weiteres leisten können. Jeder kann dann entscheiden, ob er sich für einige Extras im Leben quält oder lieber das einfache, aber dafür mit viel weniger Quälerei versehene Grundversorgungs-Leben wählt. Menschen mit der Begabung, sich selbst ohne Quälerei zur Arbeit zu bewegen, durch roboterhaftes Abschalten der Emotionen oder positive Selbstmotivation, werden es dabei einfacher haben, einen besseren Lebensstandard zu erreichen.

Erzwungene, ungewünschte Arbeiten und Pflichten beschneiden alle Menschen in ihrer Lebensqualität. Folglich sollte es das Ziel sein, unangenehme Arbeiten und Pflichten weitestmöglich zu reduzieren. Das endgültige Ziel sollte das Leben aus Spiel, Spaß und angenehmen Tätigkeiten sein, dass sich vielleicht nicht endgültig erreichen lässt, aber doch den Limes einer positiven Gesellschaftsformel bildet.

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