Buchrezension: Rudolf Hänsel, "Game Over!"

Nachdem es 2010 in der "Killerspiele"-Debatte relativ ruhig gewesen ist, fällt nun doch diese Buchveröffentlichung auf. Rudolf Hänsel, lange Jahre im Schuldienst tätig und bis 2007 Vorsitzender der Schulberatung München, ist schon vorher durch Buchtitel gegen Spiele mit nachgespielten Gewalthandlungen aufgetreten. Er war sowohl am "Kölner Aufruf gegen Computergewalt" beteiligt, wie auch an den Zensurbestrebungen in der Schweiz. Bei letzteren war er eines der Gründungsmitglieder des Sittenwächtervereins VGMG um den Berner Kantonsrat und Lehrer Roland Näf. Hänsel stand dem als autoritäre Psychosekte geltenden "Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM)" nahe. Der hatte sich 2002 offiziell aufgelöst, seine Mitglieder sind seitdem aber immer wieder organisiert aktiv. Unter den Gründungsmitgliedern der VGMG, wie auch bei den Unterzeichern des "Kölner Aufrufs", fanden sich, Hänsel eingeschlossen, rund ein Dutzend weitere Ex-VPMler. Der Schweizer Sektenkenner Hugo Stamm bezeichete Hänsel und andere als "zentrale Figuren" des Psycho-Kults.

Jetzt meldet er sich mit einem 120-seitigen Taschenbuch zu Wort, in dessen Begleittext davon die Rede ist, dass Medienkonzerne Teil eines "Militärisch-industriellen Komplexes" seien, die mit "Killerspielen" Propaganda betreiben, um den Krieg zu verherrlichen und Stimmung gegen "Schurkenstaaten" zu machen. Nun wird sich wohl auch mancher Gamer fragen, wie es um Propaganda und Beeinflussung in Spielen steht. Propaganda in Spielen wird mit Misstrauen betrachtet; reine Propagandaspiele sind bislang weitgehend Randerscheinungen geblieben. Sollten da tatsächlich Militär und Regierungen heimlich mit in den Entwicklerbüros sitzen, um uns per Ballerspiel das Töten und Sterben in Afghanistan oder im Irak schmackhaft zu machen? Wenn dem so wäre, könnte das Buch Hänsels einige Aufklärung über zwielichtige Machenschaften leisten, die auch Gamer mit Sorge betrachten, welche Zensur- und Verbotsabsichten bei Spielen ansonsten strikt ablehnend gegenüber stehen. Bringt das Buch also in gewisser Hinsicht wichtige Fakten auf den Tisch, die den Missbrauch des Mediums Computerspiel belegen?

Das Buch

Nach einer kurzen Einleitung über einen süchtigen Spieler stürzt sich Hänsel in die Studienschlacht zur Mediengewalt. Und nimmt sich vorzugsweise Studien von Personen, die schon vor ihren Veröffentlichungen durch intensive geschmackliche und moralische Ablehnung einschlägiger Computerspiele, teils auch durch Zensurforderungen, aufgefallen sind: Helmut Lukesch, Werner H. Hopf, Günther L. Huber, Rudolf H. Weiss. Doch schnell werden persönliche Einschätzungen ohne wissenschaftlichen Gehalt eingestreut, etwa, wenn Helmut Lukesch behauptet, die Ich-Perspektive in Videospielen schaffe höhere Akzeptanz für eine den Spielen angeblich zu Grunde liegende "Gewaltideologie".

Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Amokläufen und "Killerspielen" und hat kaum wissenschaftlichen Gehalt. Es handelt sich über weite Strecken um persönliche Einschätzungen und eher willkürliche Aussagen, vor allem des ehemaligen US-Armeeausbilders Dave Grossman, der sich nach dem Schulmassaker in Jonesboro 1998 als Spielegegner profilierte und dazu seine Kenntnisse aus der Armeeausbildung auf Computerspiele überträgt. Es werden inhaltliche Fehler gemacht; so werden Schulamokläufe mit "gewöhnlicher" Schulgewalt durch Banden, Erpresser usw. vermengt, obwohl die meisten "school shooter" keine klassisch kriminellen Karrieren hatten und eher aus gutbürgerlichen Verhältnissen kamen. Es wird behauptet, Computerspiele lehren gezielt tödliche Kopfschüsse; als Beispiel wird aber das historische "Doom" angeführt, in dem es keine gezielten Kopfschüsse gab. Es kommen sogar naheliegendere Ursachen für Amokläufe, wie Ungerechtigkeiten und Kränkungen, zur Sprache; diese verschwinden aber hinter den Behauptungen und Assoziationen, "Killerspiele" würden Amokläufe lehren. Deutlich wird hier die Gesamttendenz des Buches, Computer- und Videospiele als Lernsoftware für die Wirklichkeit darzustellen und die Grenzen zwischen Spiel und echtem Leben bewusst zu verwischen.

Grotesk ist es an der Stelle, wo angeblich steigende Jugendgewalt erwähnt wird: gewalttätige Jugendbanden werden wie etwas Neuartiges dargestellt, das immer schlimmer wird und früher so schlimm nicht gewesen sei. Ob die Jugendkriminalität überhaupt statistisch steigt, oder aber spektakuläre Einzelfälle das Bild prägen, ist in Wirklichkeit strittig. Dass dann Eminem zum "deutschen Rapper" wird, ist eine eher lustige Randerscheinung; dass über Ähnlichkeiten mit der Handlung einiger Computerspiele eine Instruktion der Gangs durch die Spiele suggeriert wird, platte Hetze.

Es folgen einige Spieltitel, die vor allem unter dem Aspekt geschmacklicher und moralischer Ablehnung vorgestellt werden. Dies sind "Call of Duty - Modern Warfare 2", dort insbesondere die umstrittene "Flughafenszene", in welcher der Spieler als Agent ein Terrorkommando begleitet, das Flughafenpassagiere massakriert, weiterhin das Mafiaspiel "Der Pate". Hier lässt Hänsel ausgiebig Regine Pfeiffer zu Wort kommen, die Schwester von Christian Pfeiffer, dem Vorsitzenden des "Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KfN)". Ihre Ausführungen haben allerdings keinerlei wissenschaftlichen Gehalt; es handelt sich ausschließlich um zur Schau getragene moralische Abscheu über Spielinhalte wie Einschüchterungstaktiken und grausame Mafiamorde. Wie überall in dem Buch werden die Spielhandlungen als Lehrinhalt für reales Handeln und reale Wertvorstellungen hingestellt; es wird gefordert, das Spiel habe infolge einer dominanten geschmacklichen Ablehnung nicht erscheinen dürfen oder zumindest indiziert werden müssen.

Am Ende des Abschnitts ist noch die Rede von dem -bislang nicht erschienenen- Kriegsspiel "Six Days in Fallujah", das eine Nachstellung der Schlacht im Irak aus Sicht des US-Militärs beinhalten sollte. Dieser Abschnitt könnte interessant sein, ist das Spiel doch Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Militär und propagandistischer Inhalt somit geradezu vorprogrammiert. Doch dann ergeht sich der Autor in Berichten über das Leid der Zivilbevölkerung, um auf der Basis die Spielhandlung - eine reale Schlacht im Irak - für illegitim zu erklären. Letztlich führt er US-amerikanische Veteranenverbände, Armeeangehörige und Politiker als Advokaten der eigenen moralischen Ablehnung an. Als Kritik an dem Spiel bleibt vor allem die moralische Ablehnung eines realitätsbezogenen Kriegsspiels an sich, während der Propagandagehalt - Verherrlichung der US-Armee und ihres Vorgehens, eventuell Kriegsbegeisterung, hier in den Hintergrund treten.

Militär und Unterhaltungsindustrie - was steht drin?

Der nächste Abschnitt ist übertitelt mit "Pentagon, Hollywood und die Spieleindustrie" und könnte interessant sein, wenn es denn gelingen sollte, eine auf breiter Ebene existierende Verflechtung von Militär und Unterhaltunsindustrie zu belegen. Denn das wäre auch für viele Spieler unter Umständen ein echter Anlass, von bestimmten Produkten Abstand zu nehmen, anders als Geschmacksdiktate von Gesellschaft und Staat.

Das Kapitel fängt mit Erklärungen und Allgemeinbehauptungen an, wonach Militär- und Unterhaltungsindustrie schon seit langem zusammen arbeiten. Dann wird mit dem "Institute for Creative Technologies" an der University of Southern California erstmals ein Name genannt, wo solche Kooperation und Verflechtung denn statt findet. Dann wird es wieder allgemein und man behauptet, dass Militär und Unterhaltungsindustrie gegenseitig ihre Technologien nutzen. Das gegebene Beispiel enttäuscht dann aber: Der Horrorshooter-Klassiker "Doom", genauer gesagt "Doom 2" aus dem Jahre 1995. Wie viele andere Spielefans hatten auch einige US Marines an dem Spiel herum gebastelt. Während andere Spieler neue Level, Monster und Waffen einfügten, bauten die Marines daraus eine Kampfsimulation, die auch eine Zeit lang zum Training von US-Soldaten eingesetzt wurde. Die Rolle der Herstellerfirma id-Software war allerdings eher passiv; es handelte sich um eine Modifikation durch Dritte, nicht um eine gezielte Entwicklung von Militär-Trainingssoftware. Die "Doom"-Spiele selbst handelten in einer Science-Fiction-Horrorwelt und hatten fast keinen Bezug zum echten Militär, sieht man von der Bezeichnung der Spielercharaktere als "Space Marines" mal ab. Die durchaus reale Problematik bei Simulationsspielen, wo u.U. Militärangehörige dabei sind, um die Simulation möglichst realistisch zu gestalten, wird angeschnitten, aber nicht anhand konkreter Beispiele ausgeführt.

Wirklich unerträglich wird es, wenn Hänsel behauptet, Spieleindustrie und Militär würden Einfluss auf die Medien nehmen und Journalisten unter Druck setzen, um die Profite nicht zu schmälern und die Menschen über den angeblichen Komplott im Dunkeln zu lassen. Hier hätte er Belege nennen müssen; so versucht er offensichtlich, die massenhaften Proteste der Spieler und die öffentliche Kritik gegen Moralaposteltum und Zensurhetze in einigen Medien als Werk einer skrupellosen Militär-Unterhaltungsindustrie zu verunglimpfen.

Enttäuschend sind auch die folgenden Abschnitte: Es dominieren plumpe 1:1-Gleichsetzungen von Spiel und Wirklichkeit, Motto: erscheint im Ballerspiel ein verschleierter Moslem als Gegner, werden damit alle echten Moslems als monströse Gegner hingestellt, die man ohne schlechtes Gewissen eliminieren kann. Wenn das mit der PR-Arbeit der Bundeswehr in Schulen verglichen wird - eine Sache, die sich wirklich zu thematisieren lohnt - droht die Argumentation lächerlich zu werden.

Dabei gibt es durchaus fließende Grenzen zwischen harmlosem Spiel und Propagandamachwerk; Simulationen, etwa von Kampfhubschraubern, Panzern, U-Booten und dergleichen sind ein Beispiel dafür, weil hier unter Umständen Militärfachleute dabei sein müssen, die im Gegenzug eine positive Tendenz im Spiel erwarten. Andererseits ist das Spielvergnügen, auch mit realen Waffensystemen, ein legitimes Recht, so dass hier die Entwickler aufgefordert sind, propagandistischen Gehalt zu vermeiden. Auf eine Platitüde der Art, dass schon das bloße Nachspielen von Krieg oder ein reales Kriegsszenario im Spiel Kriegspropaganda darstellen, kann man allerdings dabei keine Rücksicht nehmen. Und wenn ein Spiel dennoch fragwürdigen Inhalts ist, muss darüber offen diskutiert werden - Gamer sind nämlich keineswegs alle unkritisch - aber Zensur und Verbote sind hier nicht die Mittel der Wahl!

Klassisch konservativ

Es folgt eine Ausführung über Kriegsspielzeug in Form klassischer Plastikmodelle - was, wie Hänsel behauptet, in den letzten Jahren zugenommen hat, nachdem es nach dem 2. Weltkrieg tabu war. Als es um Technikfaszination anhand von Waffen geht, führt der direkte Weg, innerhalb eines Satzes, von realen Waffen zu den Waffen in den historischen Computerspielen "Doom" und "Duke Nukem", die alle in realitätsfremden Fantasy-Science-Fiction-Welten handelten. Was Kettensäge, die alles vernichtende BFG 9000, Schrumpf- und Gefrierkanone aus diesen Spieltiteln mit realen Waffen zu tun haben, bleibt eine unbeantwortete Frage.

Der nächste Abschnitt trägt den Titel "Mut zur Erziehung" und könnte auch interessante Aspekte beinhalten. Denn gerade extreme Gewaltspiele beziehen ihre Faszination ja oft daraus, dass sie den offiziell geforderten Normen für das reale Leben entgegen laufen. Zuerst geht es um das Erlernen von Wertehaltungen; hier wird dann eine Reihe von Werten und Tugenden aufgelistet - um direkt danach die Gegenteile davon zu listen und zu behaupten, in "Killerspielen" würden diese nicht etwa nur gespielt, sondern angeblich für das reale Leben "vermittelt". Wieder wird jede Trennung zwischen Spielwelt und Realität ignoriert; elektronische Medien werden als "(un)heimliche Erzieher" hingestellt. Diffamierend wird von Spielergemeinschaften (Clans) pauschal behauptet, dort herrschten "männliche Attribute" wie "cool, aggressiv, sadistisch, mächtig" vor und es gäbe darin keine wirklichen menschlichen Beziehungen, Freundschaften oder gegenseitige Hilfe - es wird damit der Eindruck erweckt, es handele sich bei den Zockergruppen um so etwas wie Verbrecherbanden mit virtuellem Kontext.

Fast schon obligatorisch agitiert Hänsel dann auch gegen Pornografie, behauptet, sie irritiere sexuelle Bedürfnisse und suggeriert einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Amoklauf von Winnenden.

Im folgenden schlägt er ganz klassische Erziehungs- und Wertebildungsmethoden für Kinder und Jugendliche vor: vom Mithelfen im Haushalt über das Einsammeln von Altpapier, freiwillige Feuerwehr bis zu Hilfsprojekten in Entwicklungsländern. Sicher nichts Schlechtes, aber auch nichts, was infolge elektronischer Medien besonders notwendig würde. "Öfter mal abschalten" ist der nächste Vorschlag, der Familien mit Kindern gemacht wird, weniger Computer und Konsole, mehr Kontrolle über die Inhalte, Erwachsene als Vorbilder. Man kann über diese Dinge diskutieren und sie vielleicht auch mit Einschränkungen akzeptieren.

Keineswegs akzeptabel ist allerdings mehr, was im letzten Kapitel, unter dem Buchtitel "Game Over!", gebilligt und gefordert wird. Erst werden einige der üblichen Moralapostel zitiert, dann lässt Hänsel die Inhalte von Computerspielen am realen, humanitären Völkerrecht messen (die Schweizer Stiftung Pro Juventute, die diese Ausarbeitung angefertigt hatte, hat sich mittlerweile von radikalen Zensurforderungen distanziert und damit in der Zensorenszene der Schweiz unbeliebt gemacht), ebenso am deutschen Grundgesetz. Es folgt Zensurideologie, die der deutsche Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider gesammelt hat, und die, getreu der Richtung des Buches, fiktive Handlungen und Wirklichkeit gleichsetzt und Unterhaltungsmedien wie Lernmittel behandelt: "Gewaltdarstellungen haben kein Recht an sich, wenn sie nicht über die Rechtlosigkeit von Gewalt informieren [...] Nicht nur die Erziehungsaufgabe rechtfertigt die Verbote unsittlicher Gewaltdarstellungen, sondern die durch diese Darstellung missachteten Werte selbst [...]". Es geht hier allerdings nicht um Kindererziehung, sondern um mündige, erwachsene Bürger! Es werden die in Deutschland immer wieder von Innenministern, einzelnen Personen und Institutionen auftauchenden Forderungen nach einem Totalverbot von Computerspielen mit gewalttätigen Handlungen gebilligt und gestützt, ihr bisheriges Scheitern bedauert und Journalisten angegriffen, welche die Zensurvorhaben kritisieren. Ihnen wird unterstellt, sie schrieben, was "die Spieleindustrie" ihnen "diktiert". Obligatorisch wird das Zensurvorhaben in der Schweiz und sein bisheriger Erfolg gefeiert - an dem Hänsel als Gründungsmitglied der VGMG beteiligt war. Anfangs hatte die VGMG auch Hänsels Texte auf ihrer Titelseite im Web stehen; sie wurden entfernt, nachdem die Nähe zur ehemaligen VPM-Sekte in Schweizer Medien thematisiert wurde.

Andere Methoden des Umgangs mit problematischen Spielinhalten, wie Aufklärung und Altersbeschränkungen, kommen an dieser Stelle gar nicht mehr vor, es gibt nur noch den großen Verbotshammer.

Zum Schluss scheut sich Hänsel nicht, ein griechisches Gesetz billigend zu kommentieren, das formal alle Computer- und Videospiele völlig verbot. Nach einem Skandal um einen Politiker und illegales Glücksspiel wurde dort ein Hysteriegesetz erlassen, das sich eigentlich gegen Glücksspiel richten sollte, aber so schlampig formuliert war, dass es faktisch jede Art von Computer- und Videospielen kriminalisierte. Das Gesetz ist mittlerweile geringfügig entschärft, so dass private Computerspiele nicht mehr betroffen sind; der Europäische Gerichtshof hat es außerdem als Verstoß gegen Freihandelsgesetze verurteilt.


Fazit:

Mit dem Durchgelesen des Buches verband sich die Hoffnung, etwas zu Themen wie "Unterwanderung der Medienindustrie durch Militär" zu erfahren, oder wenigstens andere harte Fakten zur "Gewaltspiele"-Thematik. Doch es ergeht einem so, dass man viele der darin zu lesenden Dinge in den letzten Jahren alle schon mal irgendwo gelesen hat. Die harten Fakten und Informationen dazu sind, wie das ganze Buch, dünn. Statt einer ernsten Auseinandersetzung mit der Militär- und Propagandaproblematik und praktischen, ernsthaften Tipps, wie Spieler, Spielepresse und Industrie damit umgehen sollen, enthält es nur Anschuldigungen, Verteufelungen und Verschwörungstheorien - die Konsequenzen bestehen nur aus Abschalten, Verbieten und im günstigsten Fall noch in der Wertevermittlung an Jugendliche. Dass Propagandaspiele schon durch alleinige Aufklärung wesentlich entschärft werden können (ohne, dass auch nur ein Blutfleck heraus geschnitten wird), indem die Spieler solche Programme kritisch im Kontext sehen, kommt dem Autor nicht in den Sinn. Warum werden solche Uralt-Geschichten wie "Marine Doom" (die militärische Modifikation von "Doom 2"), bei welchem die Herstellerfirma des Originalspiels eine sehr passive Rolle spielte, wie aktuelle Beispiele aufgetischt? Die genannten Fälle mögen richtig sein; sie stellen aber nur einen kleinen Teil des "Killerspiele"-Markts dar. Die Mehrheit dieser Spiele handelt in fantastischen Welten oder auch historischen Szenarien und ist damit für Propaganda, Militär- oder Kriegsverherrlichung kaum oder gar nicht geeignet.

Seine ständigen Forderungen nach Zensur und Verboten lassen Hänsel außerdem ein wichtiges, weiteres Problem übersehen: Betrachtet man die aktuellen Indizierungen und Beschlagnahmen in Deutschland, so sieht man schnell, dass die deutsche Zensur vor allem ein Feindbild hat: das klassische Horror- und Splatter-Genre. Ob Horrorfilm-Klassiker oder aktuelles Computerspiel: das Vorhandensein von Zombies und Kettensägen ist ein wesentliches Kriterium für Liste B-Indizierungen oder Beschlagnahmen nach §131. Mit Militärpropaganda, der Verharmlosung von Krieg oder der Vermittlung realer Feindbilder haben Zombie-Hackspiele wie "Dead Rising 2" freilich kaum etwas zu tun; es wird bei aller dargestellten Brutalität Gewalt nicht verherrlicht, weil es Fantasiewesen sind, deren Verhalten zu dem von Monstern mutiert ist. Die Zensoren beschäftigen sich hier also vor allem mit dem Schutz dessen, was gutbürgerliche Menschen als guten Geschmack verstehen. Kein Problem sind den Zensoren dagegen Kriegsdarstellungen an sich und Propagandaelemente, wenn die betreffenden Programme nur entsprechend blutarm geschnitten sind. "America's Army" ist z.B. besonders blutarm, damit in den USA schon ab 12-jährige damit für den Kriegsdienst begeistert werden können. Einem Spiel "Die deutsche Armee", mit Einsätzen in Afghanistan, schön blutarm geschnitten, stünde von Seiten der Zensoren kaum etwas entgegen. Ein Blick auf das Genre des Antikriegsfilms zeigt aber, dass hier die Darstellung besonders von Grausamkeiten und Kriegsverbrechen ein sehr wichtiges Element ist. Auf das Computerspiel übertragen, müsste das heißen, dass der Spieler, gerade um eine kritische Haltung zum Krieg zu fördern, an Kriegsverbrechen, wie dem Massakrieren von Dorfbevölkerungen, auch selbst aktiv teilnehmen können muss. Die Diskussionen um das Flughafenmassaker in "Modern Warfare 2" zeigen, dass sowas durchaus zum Nachdenken anregt. Für Zensoren ist es dagegen eine Steilvorlage, ihre Klauen nach den betreffenden Spielen auszustrecken. Diese Problematik schlägt übrigens auch von Deutschland aus auf die Schweiz durch, weil Schweizer Repressionsbehörden mehrfach die deutschen Verbotslisten übernahmen; dazu kommt, dass nach dem Schweizer Artikel 135 sogar Menschen nur für den privaten Besitz solcher Spiele und Filme bestraft werden können.

Statt sachliche Aufklärung zu leisten, ergeht sich das Buch in Moralaposteltum, Parolen und Zensurforderungen; die penetrante Darstellung von Computerspielen als Lernsoftware für das wirkliche Leben, die Forderungen, Spielinhalte an Werten und Normen der Wirklichkeit auszurichten, steigt jedem zu Kopf, der auch nur halbwegs zwischen Fantasie, fiktionaler Welt und Wirklichkeit unterscheiden kann. Durch permanentes Einhämmern soll hier offenbar ein Gedankengebäude, die Gleichsetzung von Computerspiel und Wirklichkeit, fest gesetzt werden. Interessant auch das Umfeld der Veröffentlichung: Herausgeber Jürgen Elsässer war einst "antideutscher Linker" und hat sich zu einem bizarren Verschwörungstheoretiker gewandelt - Hänsels Buch ist nun eine weitere Verschwörungstheorie in seiner Sammlung. Passender Weise werden einem bei der Anzeige des Buches auf der Verlagsseite auch gleich ein Buch über Freimaurer und Illuminaten, sowie eine Verschwörungstheorie zum Winnenden-Amoklauf angeboten. Man kann sagen: Das Buch ist ein Fanartikel für all jene, die sich schon immer mehr Zucht und Ordnung, Verbote und Gängelei gewünscht haben. Für alle anderen ist der Nutzen fraglich - unabhängig von der Meinung zum Thema.

Eines fällt an Hänsels Ausführungen überdeutlich auf: völlig fehlender Respekt vor dem mündigen, erwachsenen Menschen und seinen individuellen Rechten, wozu auch die Nutzung von Medien gehört, die vorherrschenden Geschmacks- und Normvorstellungen entgegen laufen. Sein Lieblingsstaat (VPM-Kenner werden grinsen...) ist ein autoritärer, der die Kontrolle über private Fantasiewelten ausübt, der nach Lust und Laune alles verbieten kann und gegen den der Bürger kaum individuelle Rechte hat. Auf die vielfache Kritik an Verbotsvorhaben gegen Computerspiele geht er kaum ein - Zensurgegner und -kritiker werden an den wenigen Stellen, wo sie erwähnt werden, als Sympathisanten oder Abhängige des "militärisch-medialen Komplexes" hingestellt, oder als süchtige Spieler. Dass Hänsel dem früheren VPM zumindest nahe steht, mag manche autoritären, gar totalitären Tendenzen des Buches erklären, zumal das VPM-Umfeld sehr intensiv gegen Computerspiele agitierte, durchweg mit der Forderung nach weit reichenden Verboten. Es muss aber deutlich davor gewarnt werden, die Problematik an Kulten wie dem VPM fest zu machen. Denn es besteht eine übersättigte Giftmischung autoritärer Gesellschaftsmodelle in vielen westlichen Gesellschaften. In der Schweiz hat Roland Näf einen Kristallisationskeim in diese übersättigte Lösung geworfen und im Jahre 2009 einen Typ von Moralhüterverein aus dem Boden gestampft, wie wir ihn seit Jahrzehnten für überwunden glaubten oder allenfalls bei religiösen und ultrakonservativen Randgestalten verortet hätten - und statt in einer radikalen Ecke zu schmollen, feiert er binnen eines Jahres die teilweise politische Umsetzung seiner Zensurabsichten. In Deutschland dümpeln die Absichten vor sich hin, sind Thema in Sonntagsreden, wenn Politikern nach spektakulären Straftaten nichts besseres einfällt oder wenn Innenpolitiker auf "großen Macker" machen wollen. In der Schweiz war es der als links geltende Sozialdemokrat Näf, der das klassisch konservative und autoritäre Thema Spielezensur auch den anderen politischen Lagern schmackhaft machte. Vielleicht blüht uns in Deutschland ja auch eine deutsche VGMG oder eine Neuauflage des Volkswartbundes...


Game Over!
Rudolf Hänsel, hrsg. Jürgen Elsässer
Kai Homilius Verlag
Hogfather (Gast) - 18. Jan, 10:17

War zu erwarten

Was anders war von dem Kerl auch nicht zu erwarten und es spricht für dich das du so unvoreingenommen an das Buch rangegangen bist.
Auch mir ist aufgefallen das während alle Welt über MW2 und so weiter spricht und diese dann trotzdem rauskommen, während Horrorperlen wie Condemned 2 klammheimlich beschlagnahmt werden.

Kriegsfilme und -spiele

Ich denke es gibt da völlig unterschiedliche Zugänge dazu was ein "Antikriegs"-Film/Spiel und ein "Prokriegs"-Film/Spiel ausmachen würde. So wird allein über eine Darstellung doch auch ein "Saving Private Ryan" häufig als Überwältigungsästhetik abgelehnt. Und bei den Spielen kommt da eben noch die "Gefahr" einer "Beteiligung", eines "Einübens" bei den "Mediengewalt"-Leuten, die aus meiner Sicht über ein zutiefst negatives Menschenbild unterstellte Freude am Krieg(sgeschehen) und gewalttätigen Handlungen (auch oder gerade übertragen so als Gefahr für Lebenswirklichkeiten, Gewaltverbrechen im öffentlichen Raum) hinzu.
Siehe auch die Veröffentlichungen von Peter Bürger: das Ideal ist da häufig das einer zurückhaltenden Stille, einer mahnenden Eindringlichkeit. Bei Bürgers "Bildermaschine für den Krieg" geht das etwa schon über vielleicht sogar noch eher abstrakte Dinge wie Explosionen: die Explosion in einem Film/Spiel ist da bereits Teil einer bildlichen Aufrüstung sozusagen.
Als Gegenideal nenne ich da immer "Johnny zieht in den Krieg" von Dalton Trumbo: der Stoff beschäftigt sich nicht mit dem Kriegsgeschehen sondern nur mit den Folgen von Handlungen. Im Falle von Johnny damit, dass dieser durch den Verlust von praktisch fast seiner gesamten körperlichen Möglichkeiten behindert aus dem Krieg zurückkehrt. Und dann ist dies als Mahnung und wohl auch Läuterung gedacht.
Grundlage dessen sind Vorstellungen welche sich etwa auch beim Filmemacher Wim Wenders finden lassen, wonach alles was gezeigt werden würde mehr oder weniger gewollt sei (in einer Lebenswirklichkeit). Tendenziell das jedenfalls. Über einen ideologischen Realismus. Sowie bei den Games wird das durch die Unmittelbarkeit von Involvierungen noch negativ verstärkt: da wird dann jeder Schuss zu einem Willen zur Gewalt, siehe auch die "Gewaltideologie" von der Hänsel da offenbar spricht.
Und das reicht zum Teil auch weit bis in die spieleaffinen Kreise hinein: da wurde zum Beispiel die Aussicht auf ein "Apocalypse Now"-Spiel in der Zeitschrift GEE (welche mit dem Spiegel kooperiert) vor kurzem dem Vernehmen nach pauschal abgelehnt, weil es in der dortigen Redaktion - teilweise zumindest - dem Vernehmen auch nicht anders gesehen wird. Weil eine "kritische Distanz" so fehlen würde. "Kritik" so auch eher nur aus einer Distanz zum Geschehen zugestanden wird.
Ein Peter Bürger begegnet in der Hinsicht einem Film wie "Apocalypse Now" ja auch eher ambivalent (siehe "Napalm am Morgen"). Der gilt bei Bürger schonmal auch keineswegs als ausgemachter Antikriegsfilm - eben weil dafür auch "zuviel" gezeigt wird sozusagen

Sicher gibt es da auch viele Widersprüche dann innerhalb dieser Logik: so etwa wenn Rainer Fromm Ende 2007 beim CCC sowohl die Wiedergabe von Propaganda in Kriegsspielen kritisiert, diese ernsthaft mit seinen Erfahrungen bei der NPD in Beziehung setzt wenn schon vergleicht, als auch eine Absenz von Kriegsverbrechen darin beklagt.

Gebildeter Spieler (Gast) - 24. Jun, 10:50

Nach wie vor sind es die Unwissenden.

Leider haben in diesem Thema immernoch die Unwissenden und Lügner die Nase vorn. Die Öffentlichkeit glaubt ihnen, es wird ihnen zugehört.
Ausgerechnet die Kritiker, die in ihrem Leben noch nie tatsächlich ein derartiges Spiel gespielt und sich wirklich intensiv mit der Handlung befasst haben. Beispiel GTA IV: Klar, der konservative Mensch, der da einmal zufällig reinguckt, sieht nur hirnlose Gewaltorgien und überzogene Actionszenen.
Aber gerade ein solches Spiel, das in seinem Handlungsablauf auf einem unnachahmlichen Niveau nicht nur die kriminelle Unter- sondern auch die gesamte sonstige Amerikanische Welt karikiert und verzerrt, gehört damit zu den Perlen der Unterhaltungssoftware. Es scheitert also an der Menge der Informationen, die sich Kritiker wie Rudolf Hänsel besorgen - die Spiele betreffend, ebenso aber leider auch die sozialen Umstände von Amokläufern u.ä.
Dass bei den Doku-Sendungen über Amokläufer das Mobbing, das (a)soziale Umfeld zu Hause, der Waffenbesitz der Väter, die Mitgliedschaft im Schützenverein etc. immer nur am Rand erwähnt werden, um dann wieder auf das große, böse Counter-Strike zurückzukommen, ist eine absolute Schande und der aufgeklärten Gesellschaft im 21. Jahrhundert nicht mehr würdig.

Markus (Gast) - 11. Aug, 11:08

"Ausgerechnet die Kritiker, die in ihrem Leben noch nie tatsächlich ein derartiges Spiel gespielt und sich wirklich intensiv mit der Handlung befasst haben. Beispiel GTA IV: Klar, der konservative Mensch, der da einmal zufällig reinguckt, sieht nur hirnlose Gewaltorgien und überzogene Actionszenen."

Naja, da hast du dir jetzt aber auch echt ein Extrembeispiel rausgesucht - nicht dass ich GTA IV nicht mag oder so, aber dieses Spiel ist schon etwas grenzwertig.

Markus
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