Der Apple-Samsung-Prozess, und wie Europa durch Rückbau "geistigen Eigentums" gegen die USA punkten kann

Nun ist das Urteil da: Samsung muss an Apple einen astronomischen Geldbetrag bezahlen, weil es in den USA deren Patente verletzt hat. Die dahinter stehende Logik in Sachen Patente ist in den USA schon lange etabliert und drängt immer mehr nach Europa: Trivialpatente, einfachste Entwicklungen, auf die ein Monopolanspruch erhoben wird und die in ähnlicher Form jedem anderen verboten werden. Das Vergrößern von Bildschirminhalten durch Doppelklick oder Fingerspreizen, ein "Rückfedern" des Bildschirminhalts beim Verschieben, Ein-Klick-Einkauf oder Fortschrittsbalken: simple technische Gimmicks, die in fast jeder professionellen Softwareentwicklung vorkommen und die Bestandteil dieser Entwicklung sind, darüber hinaus keinen Forschungsaufwand bedeuten. Auf solche Dinge werden massenhaft Monopole vergeben, so dass Innovation unmöglich ist, ohne irgendwelche Patente zu verletzen. Dazu kommt der dringende Verdacht eines parteiischen Urteils. Europa tut gut daran, seine Innovationskraft zu schützen, indem es diese Art von "geistigem Eigentum" nicht akzeptiert und die seit geraumer Zeit wuchernden, geistigen Eigentumsrechte gehörig zurück schneidet.

Smartphone-Monopol für einen Hersteller?

Die Kommentare zum Urteil zeigen deutlich: Es geht nicht nur um den Kampf zweier Marktriesen und die Frage, ob Samsung teilweise wirklich abgekupfert hat. Vielmehr steht fast das gesamte, heute übliche Smartphone-Design zur Monopolisierung an. Triviale Bedienelemente und optische Effekte als "geistiges Eigentum" zu monopolisierten bedeutet, dass freie Innovation auf dem Gebiet der Softwareentwicklung nahezu unmöglich wird, weil man eigentlich nichts programmieren kann, ohne irgendwo solche Eigentumsrechte zu verletzen. Das sonst übliche Modell, dass große Hersteller auf ihre Ansprüche gegenseitig im "cross-licensing"-Verfahren verzichten, funktionierte in diesem Fall nicht, und das Gericht schuf so die Grundlage für ein faktisches Monopol Apples in diesem Bereich. Sollte dieser Anspruch wirklich so durchgesetzt werden und in anderen Bereichen ähnlich vorgegangen werden, könnte dies in eine scharfe, wirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen den USA, Europa und weiten Teilen der übrigen Welt münden, gar zu einem Handelskrieg führen. In so einer Auseinandersetzung würde es mittelfristig zu einer Entscheidung kommen, welche Handhabung geistigen Eigentums überlegen ist: massenhafte Monopolisierungen jeder noch so kleinen Entwicklung, eine restriktive Anerkennung geistigen Eigentums, nur bei aufwändigen, aber leicht reproduzierbaren Innovationen, oder eine weitgehende Abschaffung des geistigen Eigentums.

Monopolisierte Tierpfoten, federnde Bildschirme und patentierte Wurstbrötchen: Raub geistigen Allgemeinguts

Die Propagandisten exzessiver geistiger Eigentumsrechte behaupten, geistiges Eigentum sei zum Schutz von Innovation nötig. Doch die beschriebenen Patente auf die Gestaltung von Smartphone-Oberflächen stellen keine großartige Innovation dar, sondern liegen nahe, wenn man diese Geräte mit den heutigen Mitteln benutzerfreundlich gestalten will. Ein beim Scrollen federnder Bildschirm oder ein Fortschrittsbalken kann also durchaus als geistiges Allgemeingut gesehen werden, das für jeden eine nahe liegende Lösung darstellt, der entsprechendes programmiert und optisch umsetzt. Eine Monopolisierung durch Patente oder andere geistige Eigentumsrechte ist demnach ein Raub geistigen Allgemeinguts. Werden mehrere solcher Lösungen durch geistige Eigentumsrechte blockiert, so wird eine Entwicklung faktisch unmöglich. Auch klassische Sperrpatente im technischen Bereich, um alternative Entwicklungen zu verhindern, sind nach wie vor gängige Praxis. Eine speziell in Deutschland problematische Bedingung ist das massenhafte Abmahnen von Privatleuten und Kleingewerbetreibenden, um damit Gewinn zu erzielen, oder um Anwälte sich dadurch Gewinn verschaffen zu lassen. Berüchtigtes Beispiel für den Raub geistigen Allgemeinguts, verbunden mit Bereicherung durch finanzielle Schädigung gutgläubiger Menschen, war das markenrechtliche Abmahnen von aufgestickten Tierpfoten auf kleingeweblich vertriebenen Textilien durch einen Outdoor-Bekleidungshersteller, wobei die aufgestickten Symbole kaum Ähnlichkeit mit dem Logo des Bekleidugsherstellers hatten. Ein eher lustiges, aber dennoch Sorge erregendes Beispiel waren patentierte Wurstbrötchen in den USA - die aber bislang wohl noch nicht zur Monopolisierung von Märkten benutzt wurden. Nicht selten kommt es sogar gegen lange etablierte Nutzer bestimmter Bezeichnungen zu einem Raub ihres - ggf. nicht rechtzeitig rechtswirksam registrierten- geistigen Eigentums: so wird derzeit die seit dem Jahr 2000 bestehende Politik-Community dol2day.com von einem Außenstehenden, der Markenrechte auf den Namen beansprucht, juristisch angegriffen. Wenn solche Angriffe Erfolg haben, ist Innovation und Schaffung von Werten in vielen Fällen bedroht, und die behauptete Absicht, mit geistigen Eigentumsrechten solle Innovation geschützt werden, verkehrt sich ins Gegenteil.

Verminte Innovationsfelder und Märkte, und das Innovationsgrab Cross-Licensing

Durch die Vielzahl von Trivialpatenten in den USA, aber auch durch exzessive geistige Eigentumsrechte in Deutschland (z.B. Markenrecht) und Europa werden die Märkte juristisch vermint: niemand kann sich dort bewegen, ohne wahrscheinlich auf die Mine eines versteckten Patents oder sonstigen geistigen Eigentumsrechts zu treten. Kleinunternehmen laufen Gefahr, von großen Konkurrenten mit ruinösen Prozessen überzogen zu werden oder von reinen "Patenttrollen", also Rechteinhabern, die Patente nur aufgekauft haben und weder Produkte entwickeln noch vermarkten, erpresst zu werden. Und das, obwohl sie nur die naheliegende Innovationen entwickelt haben. Unter großen Konzernen ist es weithin gängige Praxis geworden, sich gegenseitig die Nutzung der Patente und sonstigen geistigen Eigentumsrechte zu erlauben, während kleine Unternehmen vom Markt gefegt werden oder gnädiger Weise horrende Lizenzgebühren bezahlen dürfen. Dazu kommt das generelle Problem der Durchsetzbarkeit von Rechten, dass Zivilprozesse extrem teuer und die Kosten oft nicht von der Finanzkraft der Parteien abhängig sind, dass Zivilrecht somit oft ein Recht des finanziell Stärkeren ist, unabhängig von Fall und Gesetzeslage. Gesetzgeber und Justiz machen sich damit zum käuflichen Knüppel des finanziell Stärkeren, der damit alle anderen niedermachen kann. Innovation ist also nur noch unter dem Schutz eines finanzkräftigen Unternehmens möglich, das Rechte sichern, verteidigen oder Lizenzen erwerben kann und durch mögliche Strafen nicht ruiniert wird. Mit dieser Praxis geht ein Großteil der Innovationskraft verloren, weil das Potential in derartigen Unternehmen naturgemäß begrenzt ist.

Ein Staat oder Staatenverbund, der von solchen Definitionen "geistigen Eigentums" Abstand nimmt, hat also einen großen Innovationsvorteil.

Abfluss volkswirtschaftlicher Energie in juristische Auseinandersetzungen

Die gegenwärtige Praxis fördert Unternehmen, die viel investieren, um Konkurrenten juristisch vom Markt zu verdrängen, um Monopole zu erreichen oder zu sichern. Geld, das in solche juristischen Aktivitäten fließt, ist aber für die Volkswirtschaften verloren; es erfolgt damit weder Innovation noch anderweitiger Nutzen. In vielerlei Hinsicht ähneln Ausgaben für Monopolsicherung und Rechtsstreitigkeiten staatlichen Ausgaben für Rüstung und Krieg; auch die sind für die Volkswirtschaft verloren, dafür wird damit eine Menge Schaden angerichtet. Nur, dass juristischer Kampf i.d.R. nicht unmittelbar tödlich ist. Zwar kann es im Einzelfall notwendig werden, dass sich ein Unternehmen juristisch verteidigen muss, wie auch ein angegriffener Staat mit militärischen Mitteln. Dies sollte jedoch das letzte Mittel und die Ausnahme sein, wenn es etwa zu schweren, zentralen Rechtsverletzungen kommt - nicht ein genereller Knüppel, um andere niederzumachen oder zu erpressen. Wenn dagegen Firmen mehr Geld für Patentanwälte und Prozesse ausgeben als für die eigentliche Innovation, wenn es Rechteverwerter gibt, die weder Techniken erfinden noch vermarkten, aber mit aufgekauften und/oder grundsätzlich fragwürdigen Patenten destruktiv und erpresserisch vorgehen, läuft etwas falsch, und der Staat kann für die Volkwirtschaft Resourcen freisetzen, indem er die solchen Zuständen zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse korrigiert.

In der gesamten "westlichen" Welt ist offensichtlich, dass exzessive geistige Eigentumsrechte vor allem von den Profiteuren einer solchen Schadwirtschaft forciert werden: Juristen mit entsprechenden Fachgebieten, Rechteverwerter, große Firmen mit Monopolambitionen. Der Kampf um Softwarepatente zeigte deutlich diese Frontstellung, wobei diese Leute sich vor allem durch Lobbyismus hinter den Kulissen hervortun, damit die Öffentlichkeit nachher vor vollendeten Tatsachen steht. Eine Vielzahl schädlicher, exzessiver geistiger Eigentumsrechte ist in Deutschland bereits eingeführt worden, etwa ein Markenrecht, das die Registrierung beliebiger, allgemeiner Begriffe und Symbole als "Marken" erlaubt und somit Grundlage für einen verminten Markt und den Raub geistigen Allgemeinguts ist.

Doch auch bei klassischen, technischen Patenten besteht Reformbedarf. Viele Patente bedeuten auch da längst nicht mehr viel Innovation, sondern vor allem hohen Aufwand für die juristische Bekämpfung von Konkurrenten und die Schaffung wirtschaftlicher Mono- und Oligopole. Es besteht die zunehmende Gefahr, dass Patente im "Schlussverkauf" vergeben und damit verminte Märkte geschaffen werden, die Innovation nicht schützen, sondern behindern und zerstören.

Ein Entzug fragwürdiger "geistiger Eigentumsrechte" ist unproblematisch, weil dies, im Gegensatz zum materiellen Besitz, künstliche Rechte sind, die der Staat aus verschiedenen Erwägungen eingeführt hat, die er aber auch wieder abschaffen kann.

Konkurrenz der Systeme

Sollten Bürger und Politik es in Europa schaffen, sich von den Ketten eines exzessiven "Geistigen Eigentums" zu befreien, so können sie ein enormes Innovationspotential freisetzen. Die USA laufen dagegen im gegenwärtigen Zustand auf eine Oligopolwirtschaft weniger, finanzstarker Konzerne hin, die sich einzig die juristischen Auseinandersetzungen leisten können, und ersticken damit ihre innovativen Kräfte zum Großteil. Somit hätte Europa, evtl. zusammen mit asiatischen Staaten, mittel- und langfristig einen technologischen Vorteil.

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