Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden - immun gegen Kritik?

Es jährt sich zum zweiten Mal der Amoklauf von Winnenden, eine der großen und spektakulären Gewalttaten der jüngeren deutschen Geschichte. Weiterhin aktiv ist das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden (AAW), das einige der betroffenen Eltern gegründet haben und in dem mindestens ein Mitglied (H.Schober) faktisch hauptberuflich dessen Forderungen vertritt. Und die sind radikal: Allgemeines, völliges Verbot von Waffen in Privathaushalten, Verbote von Computerspielen selbst für Erwachsene, Einschränkung der Medienberichterstattung bei Straftaten.

Dazu kommt ein reichlich fragwürdiger Umgang mit dem Vater des Täters - es bleibt der Eindruck, dass man sich stellvertretend an ihm rächen will, indem man sich nicht mit den üblichen Strafen für das vorschriftswidrige Aufbewahren der Tatwaffe begnügt, sondern ihn in den Knast stecken will, als sei er selbst aktiver Mittäter gewesen. Ein ähnliches Schmierentheater gab es schon nach dem Amoklauf an der Columbine High School 1999 in den USA, wo man die Eltern der Täter im Rahmen einer Sippenhaftung nachhaltig mit organisierten Hasstiraden überzog und zu horrenden Zahlungen zwang - in der Erwartung, dass ein Gerichtsurteil noch teurer gewesen wäre.

Und doch meinen offenbar viele Journalisten, diesem Aktionsbündnis so etwas wie absolute Integrität zugestehen und Kritiker abwehren, gar diffamieren zu müssen. So agitiert der Südkurier gegen die Autorin der Website JagdWaffenNetz, die einen Offenen Brief an das AAW veröffentlicht hat, als schriebe sie in einem unverschämten Ton gegenüber den armen, zu schonenden Opfern, behauptet gar, sie wolle den Opferfamilien den Mund verbieten. Man kann sich über die Positionen in dem Brief streiten - sie sind aber legitime Kritik an einer von mehreren Forderungen des AAW, mit denen die Freiheitsrechte der Menschen beschnitten werden sollen.

Auch Computerspieler haben sich mehrfach kritisch gegen die Zensurforderungen des Aktionsbündnisses gewandt und sind dort ebenso auf taube Ohren gestoßen, während der politische Machtmissbrauch zu ihrem Schaden, der in Deutschland immer wieder versucht wird und der es in der Schweiz mittlerweile zu verheerenden "Erfolgen" gebracht hat, weiterhin ihre Lebensqualität bedroht. Denn anders als von Waffen geht von Computerspielen keine konkrete Gefahr aus; die Forschungslage zu abstrakten Risiken belegt nichts Schwerwiegendes, obwohl es eine starke Präsenz von Exponenten aggressiven Moralaposteltums gibt, die "logischer Weise" Risiken erkennen, nachdem sie schon vorher lange Computerspiele schlecht gemacht und teilweise Zensur und Verbote gefordert hatten. Die anhaltende Studienschlacht der Forscher um Computerspiele mit Gewaltinhalten sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass es bei den Verbotsforderungen nicht in erster Linie um belegbare, konkrete Risiken für reale Gewalttaten geht, sondern darum, anderen die eigenen Geschmacksurteile und Moralvorstellungen selbst in virtuellen Fantasiewelten aufzuzwingen.

Das AAW vertritt die Stimmungslage, dass infolge einer schweren Gewalttat nicht etwa gewartet, nachgedacht und vernünftig gehandelt werden soll, sondern dass vor allem die Schaffung einer scheinbar heilen Welt mit sauberen Bildschirmen, ohne private Waffen und mit einer an enge Regeln gebundenen Berichterstattung zu Straftaten oberstes Gebot sei. Zwangsläufige Konsequenz derartiger Bestrebungen ist die Forderung, das Freizeitverhalten und selbst die Fantasie der Menschen nach gesellschaftlichen Vorgaben zu optimieren und zu normieren, um selbst das letzte, hochabstrakte Risiko zu eliminieren, dass sich aus Fantasien, Medienbildern oder gerade zufällig vorhandenen, potentiellen Mordinstrumenten Verbrechen entwickeln. Und man kann davon ausgehen, dass es bei solchem Vorgehen nicht bei Schusswaffen und "Killerspielen" bleibt, sondern nahezu alles willkürlich verboten wird, was einige Meinungsführer oder einflussreiche Personen für "gefährlich" halten oder erklären, weil es ihrem Geschmack entgegen läuft.

Eine solche Optimierungspflicht für das Freizeitverhalten würde letztlich die Menschen um einen wesentlichen Teil ihrer Lebensqualität bringen und dem betroffenen Staat den Charakter eines kollektiven Gefängnisses geben. Deshalb muss im Sinne der Freiheit und Lebensqualität der Menschen auch ein gewisses Maß an Risiko in Kauf genommen werden. Wenn mögliche Risiken nur hochabstrakt und überhaupt strittig sind, wenn dazu noch ein mitunter exzessives Jugendschutz-System besteht, das Kinder und Jugendliche vor vermeintlich Gefährlichem schützen soll, dann sind generelle Verbote in keiner Weise akzeptabel!

Doch auch bei Waffen, die eine konkrete Gefahr darstellen, muss zwischen individuellen Freiheitsrechten, Gefahren und weiteren Überlegungen abgewägt werden. Das ist nicht nur die Freiheit zur Verwendung in Schützenvereinen oder zur Jagd: Denn Waffen sind auch ein Machtfaktor für das Volk gegen potentiell tyrannische Regierungen. Die aktuellen Ereignisse in Libyen zeigen, dass gegen Tyrannei oft nur Gegengewalt hilft, und die kann ein bewaffnetes Volk eben viel effizienter ausüben als ein unbewaffnetes. Dazu sollte auch die Armee fest im Volk verankert und keine selbsternannte, auf autoritäre Führer eingeschworene "Elite" oder zusammen gekaufte Söldnertruppe sein, die ein Herrscher viel leichter zur Unterdrückung des eigenen Volkes einsetzen kann. Waffen sind (leider) ein Muss, um Freiheit zu gewährleisten und einen Aggressor an einem Angriff zu hindern - sonst wird der Friedfertige untergebuttert. Für den konkreten Umgang soll es natürlich Sicherheitsvorschriften geben, damit es nicht bei jedem nichtigen Streit gleich Tote gibt. Solche Sicherheitsvorschriften gibt es aber schon zur Genüge, und die meisten Waffenbesitzer halten sich auch daran. Seltene Ausnahmefälle dürfen da zu keiner Überreaktion führen. Obwohl Schusswaffen, anders als Computer-"Killerspiele", eine konkrete Gefahr darstellen und der Missbrauch auch legaler Waffen zweifellos Menschenleben kostet, stehen gleich mehrere grundsätzliche Werte einem völligen Verbot von Waffen in Privatbesitz entgegen.

Man sieht also, dass die Forderungen des AAW in vielfacher Hinsicht höchst fragwürdig und als rational vertretbare Konsequenzen aus der Tat schlicht falsch sind. Man kann jemandem als Opfer zwar zugestehen, dass er sich radikaler zu Dingen äußert, die er mit der Tat in Verbindung bringt, aber deswegen müssen die Äußerungen und Forderungen noch lange nicht richtig sein, und schon gar nicht gehören Forderungen, die auf breiter Ebene in Grund- und Freiheitsrechte vieler Menschen einschneiden, gegen Kritik immunisiert.


Nachtrag:
Nach Medienberichten besteht auch eine wirtschaftliche Interessenverflechtung zwischen dem Aktionsbündnis und dem Mehrheitsgesellschafter der Firma Armatix, Bernd D., die offenbar wiederholt versucht, durch Lobbyismus und Einfluss auf die Gesetzgebung Waffenbesitzer zur Abnahme ihrer Produkte zu zwingen. Ferner ist Bernd D. der Firma Quellsysteme GmbH verbunden. Diese bewirbt Wassergeräte u.a. mit nicht beweisbaren Behauptungen aus der Esoterikszene, wonach eine angebliche "Clusterstruktur" in Wasser für dessen Qualität verantwortlich sei, dass Wasser darin "Informationen" speichern könne und dass Gifte auch noch über solche "Informationen" oder "Frequenzen" Schadwirkungen haben könnten, wenn sie selbst schon heraus gefiltert seien. Neben einer physikalischen Filterung behauptet die Firma auch, die Geräte würden "feinstofliche Informationen" in Wasser "löschen". Es werden also Wassergeräte unter anderem mit irrationalen und quasi-magischen Wasserbehandlungsmethoden beworben.
gordon-creAtive.com (Gast) - 12. Mär, 20:30

Das Gewaltmonopol des Staates

Das Gewaltmonopol des Staates zu untergraben, halte ich für eine für unsere Demokratie extrem gefährliche Forderung, die Gewaltenteilung ist eines der Stützen unserer Gesellschaft. Ich bin unglaublich erschrocken darüber, wie unreflektiert der Besitz von Schusswaffen mit diesem Argument gestützt wird! Hier wird gewaltsame Selbstjustiz gegen den Staat gefordert!

Jürgen Mayer (Gast) - 13. Mär, 00:44

@GORDON-CREATIVE.COM

Das denke ich nicht. Wo steht das denn?
Es mag in Europa zwar keine besonders große Tradition haben, angesichts der "Killerspielverbote" dort ironischerweise mit Ausnahme der Schweiz und in einer Publikation wie Zeit-Fragen wird bemerkenswerter Weise nicht bloß gegen virtuell-fiktional-konsensuale Gewaltdarstellungen geschrieben, sondern auch FÜR realen Waffenbesitz, aber es geht hier eben (auch) "nur" darum: um ein Recht auf Besitz von Gegenständen. Materielle Kultur.
Mitunter auch Kunsthandwerk.
Nicht um Gewalt gegen andere Menschen.
Ich würde eine Schusswaffe in meinem Leben zwar auch nicht freiwillig halten wollen, aber es geht hier neben der bereits angesprochenen "Gewalt" beim Staat auch darum was alles gefährliche "Waffen" sein können. Und da geht es auch mit um die Vorstellung dessen was eine "Zivilisation" ausmacht, was als "zivilisiert" gilt und was nicht, was "zivilisiert" oder "zivil" wäre und was nicht. Diese Gewalt: so sind in Deutschland gerade die Spiele vielfach verboten welche darauf hinweisen wie gefährlich Alltagsgegenstände sind, wie leicht diese als Waffen umfunktioniert werden können, zu Waffen missbraucht werden möglicherweise - gegebenenfalls schrecklicher noch sind als Schusswaffen. Es sind nämlich nicht die Schusswaffen-Shooter die im gegenwärtigen Deutschland bereits jetzt häufig verboten sind...
Der Staat verhindert auch durch diese Verbote eine Auseinandersetzung mit Gewalt in Computer- und Videospielen. Eine Verhinderung die aber auch nicht durchzudringen scheint, wenn immer noch so etwas substantiell Triviales wie das polizeiliche Counter-Strike für den Inbegriff eines "Killerspiels" gehalten wird.
U.Schaefer (Gast) - 16. Mär, 15:27

Waffen sind ein Grundpfeiler der Demokratie

Nicht zuletzt geht nach dem deutschen Grundgesetz alle Gewalt vom Volke aus, und letzten Endes halte ich das Widerstandsrecht des Grundgesetzes für eine durchaus sinnvolle Einrichtung - nur mit Wattebällchen bewaffnet, wäre das ein Papiertiger. Das hat nichts mit Selbstjustiz gegen den Staat zu tun, hätte aber in nicht allzuferner Vergangenheit - wenn Adolf Hitler nicht sinnvollerweise 1934 den Waffenbesitz für Juden und sonstige "Unzuverlässige" untersagt hätte - und diese als gesetzestreue Bürger Ihre Waffen brav abgaben, sicherlich zu einigen Schwierigkeiten bei der "Endlösung" geführt. Auch damals hiess es, das besser nur der Staat, die Polizei, die Armee über Waffen verfügen - denen kann man ja trauen, richtig. Wie ein anderer Diktator richtig bemerkte - "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!"
Und wer glaubt, es hätte sich etwas geändert seid der Weimarer Republik, der möge die Augen öffnen, sich die Zeitungen von damals durchlesen und unsere heutigen - die Analogien sind frappierend.

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