Sonntag, 18. September 2011

Freibeuter statt Ausbeuter - Piratenpartei und Liberalismus

Nun haben sie also reichlich Beute gemacht: mit einem satten Ergebnis von rund 9% der Stimmen ist die Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, während die FDP mit unter 2% eigentlich schon im Balken der "Sonstigen" hätte verschwinden müssen. Während die Medien das Ergebnis vielfach noch als Protest abtun und die verstärkte Berichterstattung der letzten Tage sicher einen Teil zur Höhe des Ergebnisses beigetragen hat, muss man klar sagen, dass die Partei in den letzten Jahren intensive Arbeit geleistet und sich damit profiliert hat. Es ist also kein Strohfeuer, sondern eine über lange Zeit hinweg angefachte Glut. Die Debatten um Vorratsdatenspeicherung, Internet-Stoppschilder und "Killerspiel"-Verbote mögen vielen als Randthemen erschienen sein, sie berühren aber grundsätzliche Freiheitswerte in der digitalen wie der "analogen" Welt und ermöglichen der Partei so die Bildung einer langfristigen Basis, die auch weiter funktioniert, wenn es zu Richtungskämpfen und Misserfolgen bei Wahlen kommt. Die Partei hat die Möglichkeit, sich zu einer Partei der digitalen Generation zu entwickeln, so wie die Grünen die Partei der 68er- und Ökobewegung mit entsprechend großer Basis sind. Dieses Tortuga im gesellschaftlichen Ozean fehlt Parteien, die nur von Protest und Provokation leben und die so schnell wieder in der Versenkung verschwinden, wie sie kommen: Statt-Partei, diverse freie Wähler, Schill-Partei und andere, nicht zu vergessen die Rechtsparteien, die zwar insgesamt so 10-15% Klientel haben, wo es aber keiner schafft, die alle unter einen Hut zu bringen - so dass sie am Ende doch hauptsächlich von Protest leben.

Die FDP ist dagegen als liberale Partei nicht mehr ernst zu nehmen. Das einzige, was an ihr liberal ist, ist der Wirtschaftsliberalismus. Und der ist eigentlich kein Liberalismus; er bedeutet effektiv Freiheit nur für die, welche sie sich leisten können. Er ist das Recht des wirtschaftlich Stärkeren, die Garantie, dass der sich ohne staatliche Gängelei wie Mindestlöhnen und sozialen Verpflichtungen zum Nachteil aller anderen bereichern kann. Wirtschaftsliberalismus oder Neoliberalismus in den gängigen Formen befördert nicht Leistungsträger, sondern Personen in Machtpositionen, die dort möglichst viel der erwirtschafteten Erträge abschöpfen können, oft ohne jede eigene Leistung, etwa bei Besitz- und Kapitalerträgen und Spekulationsgewinnen. Genau so, wie Freiheit nicht bedeuten darf, dass Gewalttäter ungehindert Schwächere verprügeln und erpressen dürfen, dass dagegen Ordnungsmächte nötig sind, so darf sie auch nicht bedeuten, dass einige in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schlüsselpositionen alle Erträge und Gewinne abschöpfen und die Löhne für die eigentlichen Leistungserbringer dank freiem Markt bis unter die Hungergrenze drücken dürfen! Dazu war sie allzu penetrant Vertreter der Lobbyisten. Wenn Rösler seine Gesunheitsreformpläne - Kopfpauschale, also hin zu Gesundheitsdiensten als individuell zu bezahlenden Leistungen - damit beschreibt, dass die besten "Experten" sie erarbeitet hätten, dann kann sich jeder denken, was damit gemeint ist. Dass Lobbyisten die Gesetze selbst in ihrem Sinne schreiben, ist nicht Sinn liberaler Politik! Es wäre wirklich gut, wenn diese FDP dauerhaft bei 2% oder weniger bliebe!

Interessant ist, dass die Piraten in Berlin sich für die Möglichkeit eines Lebens ohne Zwang zu Arbeit und für kostenlose öffentliche Verkehrsmittel aussprachen. Man sollte diese Themen ernsthaft anpacken und sich vor allem um das "wie" kümmern, damit das Ganze nicht in griechischen Verhältnissen endet! Es ist ein notwendiger Gegenpol zu den Versklavungsideologien, die Arbeitslose durch erniedrigende Behandlung, willkürliche Kürzungen und eine insgesamt immer ungenügendere Versorgung in unterbezahlte Elendsjobs zwingen wollen - was letztlich auch die Löhne der etablierten Arbeitsplätze mehr drückt, als je davon an Steuern für Sozialleistungen bezahlt wurde.

Und letztlich sollte sie sich auch vom etablierten linken Spektrum abgrenzen. Sicher sind sie keine Rechtspartei, und es ist auch nicht zu erwarten, dass dort Parteimitglieder ein neues "Drittes Reich" fordern dürfen. Sie sollte sich aber nicht zu Hexenjagden treiben lassen, die sich an bloßen Glaubensbekenntnissen festmachen, wie genau die Verurteilung historischer Verbrechen auszufallen hat. Gerade dieser weit überschießende Fanatismus, bei dem oft alle Grundsätze des vernünftigen Miteinanders abgeschafft werden, macht weite Teile der etablierten Linken unerträglich. Wenn die Partei mit den Äußerungen einzelner Mitglieder Probleme hat, sollte sie das in aller Ruhe diskutieren, die inkriminierten Äußerungen dabei allgemein zugänglich machen, und dann in Ruhe entscheiden, ob das Ganze nun akzeptabel, eine Einzel- oder Minderheitenposition oder gänzlich inakzeptabel ist - nicht Anschuldigungen und Verunglimpfungen in immer größerer Härte und mit ins Kraut schießender Fantasie reproduzieren, ohne demjenigen die geringste Chance zu lassen.

Vielleicht schaffen sie es ja, sich ihr gesellschaftliches Tortuga auszubauen und auch weiterhin ein bunter Haufen zu bleiben. Die Konzentration auf die digitale Welt kann in der Tat neue Anstöße bringen, die es fördern, dass diese Technologien auch für gesellschaftliche und demokratische Prozesse nutzbar gemacht werden, statt nur für Überwachungs- und Unterdrückungsapparate missbraucht zu werden!

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